Diese Seite ist das Ergebnis eines literarischen Experiments, das vor etlichen Jahren durchgeführt wurde. Die Science-Fiction-Novelle ist eine Gemeinschaftsproduktion von Martin Schellmoser und Maximilian Lückenhaus. Martin Schellmoser entwickelte auch die Idee, die Novelle in Form einer "Jam-Session" abwechselnd zu schreiben. Hierbei gab es kein vereinbartes oder vorgeschriebenes Gesamtkonzept zu den Figuren und der Geschichte. Jeder Autor schrieb abwechselnd ein Kapitel ohne sich mit dem anderen Autor abzusprechen ... man konnte also nie wissen, ob der Kollege die Figuren, die man gerade in die Geschichte eingeführt hat, im nächsten Kapitel noch am Leben lassen wird ....
PROLOG
Die außerirdische Armee hatte sich entschlossen, die lästige Erde anzugreifen und endlich vom Angesicht des Universums zu tilgen. Ihre Strategie war denkbar einfach. Sämtliche Kampfraumschiffe sollten aus dem Schlachtenverbund zusammengezogen und im Schatten des Erdenmondes stationiert werden, um dort das Startsignal abzuwarten und im direkten Angriff die Planetenoberfläche zu verwüsten.
Ihr wohl größter Trumpf war ihr Planetenraumschiff, das einem quergelegten technischen Ei glich und in seinen Ausmaßen fast so groß wie der erste Erdtrabant Merkur war. Es besaß sogar eine eigene Schwerkraft, was einigen herannahenden Piloten schon fast zum Verhängnis geworden war.
Was sie zu diesem Zeitpunkt wohl nicht wussten und aus diesem Grund auch nicht in ihre so ausgeklügelte Planung mit einbeziehen konnten, war die Tatsache, dass ihnen die Menschheit bei weitem technisch voraus war und ein Raumschiff entwickelt hatte, das mindestens noch mal doppelt so groß war, wie ihr eigenes.
So war auch in dieser fernen Zukunft der kosmische Rüstungswahnsinn voll im Gange und die Außerirdischen konnten sich schon bald zu einer aussterbenden Rasse rechnen.
Der unvermeidliche Krieg nahm seinen Lauf. Er dauerte nicht besonders lange. Im Verlauf der direkten Konfrontation der beiden ungleichen Mutterschiffe wurde das Raumschiff der Außerirdischen innerhalb von Minuten von einigen Tausend Nuklearraketen getroffen und verglühte in einem bis dato nie gesehenen Lichtblitz im Vakuum des Raums. Die weiteren kleineren Scharmützel der Jagdraumschiffe waren kaum mehr der Rede wert. Ihres Basisstützpunktes beraubt, ließen sich die außerirdischen Piloten gerne freiwillig zusammenschießen und aus diesem Sektor der bewohnten Galaxie vertreiben.
Was aber wiederum von den Menschen nicht einberechnet worden war, war die Tatsache, dass die gigantische Explosion den elliptischen Kurs der Erde um die Sonne zu einem kreisförmigen machte und den Kreisdurchmesser gleichzeitig fast verdoppelte. Die daraus resultierende harte Eiszeit vernichtete beinahe vier Fünftel der Menschheit. Das verbleibende Fünftel flüchtete sich auf das Riesenraumschiff und harrte vorerst der Dinge.
Diese Geschichte handelt nicht von den Menschen. Zumindest nicht ganz.
1. KAPITEL
Drabosh sah aus dem dick panzerverglasten Fenster auf das äonenwährende Glänzen der Sterne. In so einem Augenblick versank er immer in eine Art meditative Stimmung, und Ruhe kam über ihn. Gestern hatte die Crew vom Hauptquartier 1334 im Ostsektor seinen fünfunddreißigsten Geburtstag überschwenglich gefeiert. Es war eine schöne Feier gewesen, allerdings mit unangenehmen Konsequenzen. Ihm schwirrte der Kopf von den noch immer andauernden Nachwirkungen des reichlich geflossenen Alkohols, wovon sich ein guter Teil in seinem Magen befand und dort revoltierte.
Es war ein schlechter Zeitpunkt für eine Wache. Aber der Einteilungsplan sah ihn bereits seit Monaten für diesen Zeitpunkt vor. Einfach ungerecht, jedoch nicht zu vermeiden. Und ein Pflichtvernachlässiger war Drabosh wirklich nicht.
Er fühlte sich zwar etwas ausgemergelt, aber dieser Ausblick entschädigte für vieles. So feindlich das Weltall war, so faszinierend konnte es auch sein. Er blickte die funkelnden Sterne an. Und bemerkte in diesem Moment nicht, dass sich hinter im leise ein Druckschott öffnete, aus dem eine dunkle Gestalt glitt. Drabosh setzte zum letzten Mal in seinem Leben ein Lächeln auf, als er die Sterne weiterbetrachtete. Dann fuhr eine klauenbewehrte Hand des Schattens herab und sein Blut spritzte auf die Panzerglasscheibe.
Die Gestalt packte den zusammengesunkenen Körper und schleifte ihn zum Druckschott, wo sie ihn hineinlegte und wieder von außen verriegelte. Die Gestalt wusste sehr genau, wie sie sich in den Korridoren umher bewegen konnte. Sie lief in die Richtung einer metallischen Leiter, kletterte hinab und verschwand schließlich im Dunkel.
So eine verdammte Schweinerei hatte Sektionsleiter Orson noch nie gesehen. Er blickte durch die verschmierte Glasscheibe und grübelte darüber nach, was da wohl passiert sein mochte. Ein Unfall? Verdammt unwahrscheinlich. "Macht die Scheibe endlich sauber, ich kann das nicht mehr sehen, Herrgott!" Er war angewidert. Gerade gestern hatten Sie Draboshs Geburtstag gefeiert und nun lag er mit durchtrennter Kehle im Druckschott. Ein Glück, dass zwischenzeitlich niemand das Druckschott aktiviert hatte. Nicht auszudenken. Die Sauerei wäre noch viel größer gewesen.
Hier an diesem Beobachtungsposten war nie etwas los gewesen. Heute wimmelte alles von blaugewandeten Sicherheitsleuten. Der Tatortbereich war weiträumig abgeriegelt worden. Man hatte in sämtlichen Quartieren nach Tatwaffen gesucht und die Bewohner nach Drabosh befragt. Es stellte sich verwirrenderweise heraus, dass Drabosh äußerst beliebt gewesen war. Er hatte weder Feinde noch Gegner gehabt. Alle hatten ihn gemocht.
Und trotzdem war er jetzt tot.
Orson runzelte die Stirn. Irgendwie sah der Leichnam nicht aus, als hätte das ein Mensch zustande gebracht. Die Verletzungen erinnerten Orson eher an ein Tier. Seltsam. An Bord des Maschinen-Planetoiden gab es natürlich keine Tiere. Man hatte seit Jahren keine Tiere mehr gesehen. Der nukleare Blitz hatte sie alle ausgerottet. Gab es noch ein überlebendes Exemplar aus alten Tagen?
Endlich war die Glasscheibe wieder sauber. Ein bisschen Anspannung löste sich plötzlich, als ob der Durchblick durch die klare Scheibe etwas davon genommen hätte. Das würde eine gründliche Untersuchung erfordern, das war Orson klar. Er würde eine spezielle Kommission damit beauftragen. Und wenn sich dieser Fall nicht sehr bald klären ließ, dann würde er wohl mit dem Generaldirektor sprechen müssen.
Und das war mehr als unangenehm.
2. KAPITEL
"Wie kann man nur so idiotisch aussehen?" raunte der Subraumkommandant seinen dritten Offizier an. Dieser zeigte sich geschmeichelt und salutierte seinem Vorgesetzten ordnungsgemäß mit einem unschönen Ton aus seiner harzigen Kehle.
Nit - der offiziell bestimmte Geschichtsschreiber an Bord - sah verstört auf. Auch nach 24 Jahren an Bord eines Schlachtkreuzers der Zitronen, hatte er sich immer noch nicht an deren seltsame Umgangsformen gewöhnt. Vielleicht lag es auch daran, dass einer seiner Genetikchips von einem erbeuteten Wissenschaftsschiff der Menschen stammte, das zuvor angeblich jahrelang durch die unendlichen Weiten des Weltraums im Dienste der Forschung geflogen war.
Mit besagter Begrüßung drückte der Subraumkommandant in der Sprache der Zitronen etwas Ähnliches aus, was ein Mensch mit "viel Glück und ein langes Leben" galanter formulieren würde. Aber bei einer außerirdischen Rasse, deren genetische Erbinformation aus einem Programmierfehler innerhalb eines Computerspiels namens "Blood Desaster III" stammt, klingt derlei etwas anders. Der Programmfehler entkam vor langer Zeit seiner Bereinigung, indem er sich eines kybernetischen Mutanten bemächtigte, der als Prototyp einer neuen Baureihe "endgültig unbesiegbarer" Waffen in derselben Firma wie das Computerspiel angefertigt wurde. Die Nachkommen dieses mutierten Mutanten zogen sich auf einen Steinplanetoiden zurück um sich der Aufzucht violett gefärbter Kühe und anderer Abnormitäten zu widmen. Jahrhunderte zogen vorüber und mit ihnen auch die Hoffnung, dass aus den Zitronen noch je etwas Vernünftiges werden würde. Schließlich setzte sich aber auch bei ihnen die Erkenntnis durch, dass mit Rauben und Plündern erheblich mehr Geld zu verdienen ist, als mit Fotografien violetter Kühe. Und so wurde aus den Zitronen eine der gefürchtetsten, blutrünstigsten Rassen, die jemals das Weltall durchkreuzten. Sie zerstören alles, was ihnen sinnlos erscheint und das trifft eigentlich auf alle belebte und unbelebte Materie zu. Der letzte Erfolg - die Beherrschung aller Subräume innerhalb der südwestlichen Galaxie - blieb ihnen nur deshalb versagt, weil sie immer wieder in ihrer blinden Zerstörungswut auch die eigenen Raumschiffe vernichteten.
"Warum haben wir seit Stunden keine Nachricht mehr von unserem Agenten?". Subraumkommandant Kark wurde sichtlich ungeduldig. Der positive Ausgang dieser Geheimmission war seine letzte Chance doch noch in die Geschichte einzugehen. 25 Jahre waren das absolute Limit für einen Geschichtsschreiber und Nit hatte gerade mal noch 3 Monate an Bord. Schafft ein Kommandant auch nach dieser langen Zeitspanne keine geschichtsträchtige Tat, so wird er Geschichtsschreiber für die nächsten 25 Jahre und der Geschichtsschreiber wird Kommandant.
Die Matrix blieb jedoch einfarbig. Gleichförmig bewegte sich die Sweepline über alle Koordinaten. Keine jedoch zeigte einen Hinweis auf den Agenten. "Kursänderung, wir sehen uns das selbst an!" "Bei allem überflüssigen Respekt", begann der Navigationsoffizier zu widersprechen, "wir verstoßen damit exakt gegen 20 Dienstvorschriften." "Lachhaft, was geht mich das an? Ich will in die Geschichte eingehen und nicht in die Dienstvorschriften. Kurs auf die Subraumgrenze! Zum Teufel mit allen Vorschriften, die nicht von mir stammen!"
Daraufhin begann sich der Schlachtkreuzer "Bloodlands" schwerfällig zu drehen und nahm Ziel auf ein für Zitronen bis dato unbekanntes Universum. Die Aufregung des Navigationsoffiziers ist verständlich. War es doch unumstößliche Lehrmeinung bei den Zitronen, dass das Universum eine Halbkugel ist. Einzig bestehend aus der südwestlichen Galaxie (die darin steckende Unlogik ist bei Zitronen vollkommen normal). Jenseits der Subraumgrenzen - so erzählte man sich - liegt ein gigantischer Ozean aus Worthülsen, die undurchdringbar seien. Kark hatte daran jedoch seine Zweifel. Einer seiner vielen Neuronenkurzschlüsse machten ihn glauben, es gäbe da draußen noch mehr zu morden und zu plündern. Eines Nachts hatte er dann auch noch diesen seltsamen Traum: In einer fernen Galaxie kämpften zwei wundersame Rassen um die Vorherrschaft. Eine nannte sich irdisch oder irrdisch (der Traum war etwas verworren) und die andere wurde abwechslungshalber als außerirdisch bezeichnet.
Tags darauf schickte er eigens den "schwarzen Agenten" los, um seinem Verdacht nachzugehen. Aber offensichtlich kam dieser nicht mehr zurück. "Versager, wohin man blickt! Idioten! Alles muss man selbst machen. Entweder wir gehen drauf oder ich werde berühmt! Beschleunigung mit Kurs auf die Subraumgrenzen!"
3. KAPITEL
Der geheimnisvolle schwarze Schatten bewegte sich leise und vorsichtig durch die Metallkorridore der Station. Er musste sich verdammt noch mal sputen, um seinen Zeitplan einzuhalten, oder die Strafe von Subraumkommandant Kark würde grausam sein. Im Moment war es natürlich sehr schwierig, sich unbemerkt durch die Station zu bewegen, waren doch die Wachen nach diesem unglückseligen Zwischenfall verdoppelt worden. Aber was musste ihm auch dieser Grünschnabel in den Weg kommen? Er hatte eine Mission zu erfüllen! Und er würde es schaffen, koste es, was es wolle!
Sein Ziel lag nicht mehr weit: die Hauptnavigationskontrolle der Station, deren Spitzname furioserweise "Blechkugel" war. Der wirkliche Name war für einen aus dem Volk der Zitronen nahezu unaussprechbar. Das musste eine der Worthülsen sein, von denen man immerzu hörte. Unglaublich aber war bereits die Tatsache, dass das Universum offensichtlich nicht halbkugelförmig war, und es wirklich auch noch eine nordöstliche Galaxie gab. Dafür würde er in seiner Funktion als "Schwarzer Agent" auf Geheimmission sicherlich mit dem Unglaublichen Hartherz in Blasslila ausgezeichnet werden.
Er näherte sich der automatisch reagierenden Gleittür und machte seine scharfen Klauen bereit. Er würde sie gnadenlos einsetzen, um das Computerterminal zu erreichen, das war klar. Und wenn er Subraumkommandant Kark einmal das Signal geben würde, dann würde die "Bloodlands" sicher seine Position finden und diese überflüssige "Blechkugel" vom Angesicht des nordöstlichen Universums radieren.
Orson raste laut klappernd durch die Korridore. Er verfolgte eine heiße Spur. Die Zeit war kostbar, jede Sekunde zählte. Schweiß rann ihm über die Stirn. Solche sportlichen Avancen waren für sein fortgeschrittenes Alter alles andere als adäquat. Aber wenn er sich beeilte, dann könnte er es vielleicht noch verhindern. Er wusste zwar nicht, was genau im Gang war, aber es war mit Sicherheit nichts Gutes.
Neben der Leiche von Drabosh hatte er sie nämlich entdeckt die Blutspur. Es war wie in einem schlechten Krimi. Er musste der Blutspur nur folgen. Immer wieder entdeckte er ein Tröpfchen hier, ein Tröpfchen da. Als er schließlich merkte, dass die Spuren schnurstracks auf die Navigationskontrolle zuführten, begann er zu laufen.
Die nächste Biegung nahm er etwas zu knapp und schlitterte zu Boden, rappelte sich aber schnell wieder hoch. Vor ihm lag die Tür der Navigationskontrolle.
Sie war offen. Verdammt! Er hörte einen Laserblitz in die Wand einschlagen, danach einen gurgelnden Schrei, der sofort verstummte.
Er musste sofort eingreifen.
Mit gezogener Waffe ließ er sich durch die offene Tür fallen und entkam nur knapp dem klingenscharfen Arm des schwarzen Wesens, der durch die Luft sauste. Orson stürzte hinter das Hauptpult und schlug hart gegen eine wild blinkende Statuswand.
Die beiden diensthabenden Wachen waren natürlich ebenso tot wie Drabosh. Abgeschlachtet. Und jetzt stand er dem Täter gegenüber. Die große dunkle Gestalt, die gerade einen Knopf am Pult betätigt hatte, verschlug ihm den Atem. Sie hatte nichts menschliches.
Der schwarze Schatten wandte sich ihm jetzt zu. Orson musste reagieren, und zwar sofort. Er zielte und schoß. Ein gleißender Laserstrahl fuhr mitten in das Wesen und riss es mehrere Meter zurück. Tödlich getroffen sank es an der Wand zusammen.
Orson musste sich schwer zusammennehmen, um sich von seinem Schreck zu erholen. Als er aufstand, sah er, dass das Wesen offensichtlich den Kennungscode und die feste Position der "Blechkugel" an Koordinaten übermittelt hatte, die bislang kein Mensch gekannt hatte. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
Orson überlegte eine Sekunde, dann zerschlug er das kleine Glas, um den Knopf für den roten Alarm zu betätigen.
4. KAPITEL
"Kehren Sie um, Kommandant, die Magnetspeicherringe beginnen zusammenzubrechen! Die Maschinenraumwände werden unmittelbar schmelzen!" Eine weitere Explosion erschütterte die schon schwer angeschlagene Bloodlands. Sie neigte sich majestätisch zur Seite. Die Kommandokapsel war bereits abgesprengt als eine letzte gigantische Explosion das Schiff auf einen Schlag in Stücke riß.
Kark wandte sich angewidert vom Holoschirm ab. Die Computersimulation zeigte natürlich nur ein wahrscheinliches Bild der nahen Zukunft. Trotzdem hatte sich Kark etwas freundlicheres erhofft. Sollte er das ganze abbrechen? Die Subraumgrenzen meiden?
"Ganz richtig!" Kark fuhr herum. Er blickte in zwei feindselige Augenschlitze. Llik stand ihm gegenüber. "Was meinst du?" knurrte Kark. "Du hattest daran gedacht, diese ganze sinnlose Aktion abzubrechen...und ich meinte, dass dieser Gedanke richtig wäre!" antwortete Llik gleichförmig. "Was weiß ein Schwachkopf wie Du schon von historischen Ereignissen?" "Nicht viel, aber wenn der Computer solch ein düsteres Bild vorausberechnet, empfiehlt ein Schwachkopf wie ich, die Expedition zu beenden. Schließlich wurde der Computer samt seiner Programme von den fähigsten Wissenschaftlern unseres immerwährenden Heimatplaneten erschaffen. Fähige Zitronen - allesamt mit dem perfiden Diplom erster Güte ausgestattet!" "Du bist wirklich intelligent, Llink!" wurde Kark langsam verletzend, "bedenke folgendes: Die Computervoraussage wurde unter Beachtung der gültigen Lehrmeinung berechnet! Und das bedeutet nun mal: Die Subraumgrenzen stellen die Grenzen des gesamten Universums dar! Ich aber werde ein für allemal beweisen: Da ist noch mehr da draußen als diese hirnrissige Idee von einem Ozean aus Worthülsen." Mit diesen Worten schlug er Llik so kräftig in dessen empfindlichste Stelle, dass dieser ohnmächtig zusammenbrach. Er hatte ohnehin schon zu lange mit Worten diskutiert...das konnte seine Autorität gefährden.
Mittlerweile passierte die Bloodlands die letzte Warntafel vor dem Zollgrenzbezirk. "Wie sollen wir uns jetzt an der Subraumgrenze verhalten?" fragte der Navigationsoffizier. "Werde ich jetzt schon wegen jeder Kleinigkeit belästigt? Augen zu und durch!" schrie Kark. "Dreiviertelvolle Geschwindigkeit! Computercountdown!"
Die Bloodlands raste auf die hintere Subraumgrenze zu. "Nock pfünf Zerfallsreihen bis zum Kontakt." "Verdammte Schweinerei, hatte ich nicht befohlen, die Sprachausgabe endlich zu reparieren?" "Nock pfier Zerfallsreihen bis zum Kontakt." Die Bloodlands begann langsam zu vibrieren, was natürlich auch daran liegen konnte, dass die meisten Besatzungsmitglieder aus Angst um ihr kärgliches Dasein zu zittern begonnen hatten. "Nock pfier Zerfallsreihen bis zum Kontakt" "He, was soll das, Computer? Willst Du mich verulken?" "Hark,hark, hark, sollte nur die Stimmunc etwas hebbeln, Herr Kommandanth, muss natürlich heißen: nock drie Zerfallsreihen bis zum Kontakt." Kark trat gegen ein Metallgehäuse, hinter dem er eine empfindliche Stelle des Computers vermutete. "Uiii, nock zfei Zerfallsreihen bis zum Kontakt." "Meiner Treu, das dauert...mach's nicht so spannend!" "Acktung: nock einte Zerfallsreihe bis zum Kontakt." Stille. "Acktung, acktung, Kontakt. Alle Systeme Notaus! Energieversockung auf Notversockung! Atmosphärische Störungent blockieren biolockische Versockungssysteme! Notaus der Computer-Sprachausgab"
Das nervöse Gefiepe des Computers ward ungehört. Alle Zitronen an Bord befanden sich in einem metaphysischen Zustand, in dem sie für derlei profane akustische Reize unempfindlich waren. Kark versuchte sich auf etwas Reales zu konzentrieren. Es gelang ihm jedoch nicht. Seine verschiedenen Neuronenkurzschlüsse verfehlten die Wiederherstellung eines konsistenten Bewusstseinszustands. Stattdessen trieben seine Gedanken frei umher, er schien sich langsam aufzulösen. Wortfetzen strandeten... "ganz bewusst ohne Bedeutung" - "der kleine Einkaufsberater" - "Vertrauen ist das Ende vom Anfang" - "Wegdenken!" - "Wir haben bestanden" - "Die tun das" - "HG - Du mich auch" - "die Mich malchts" - "Gik k k k kr kr rk rkt rkt ttt t t trrrsss hank k k ank ank ank ank ank ank t".
Es waren schreckliche Worte, um jeglichen Sinn und Bedeutung gebracht, schienen sie nur dafür geschaffen worden zu sein, die Crewmitglieder der Bloodlands zu zerrütten. Kark hatte dergleichen schreckliches niemals aus dem Sprachorgan eines Zitronen gehört. Es mussten rituelle Worte einer grausamen, fremdartigen Rasse sein. Kark versuchte die Tonquelle zu lokalisieren. Seine Gedanken waren jedoch viel zu verworren. Schon im nächsten Moment wusste er nicht mehr, nach was er suchen sollte. Da waren nur diese schmerzhaften inneren Laute. Waren das die Worthülsen? Er wurde langsam ohnmächtig.
Kark begann langsam wieder klar zu denken. Er befand sich an Bord der Bloodlands. Alles flirrte und flimmerte in rötlichen Farben. Das Schiff schien zu brennen. Auf den Bildschirmen der Außenkameras sah man ein bizarres Bild: Das ganze Universum schien sich langsam auf eine Linie hin zusammenzudrücken, während das Schiff sebst in gleichem Maße an Länge zunahm. Kark konzentrierte sich weiter. Bei genauerem Betrachten kam das Flimmern von den zahlreichen Computermonitoren. Sie mussten einer gigantischen Systemstörung zum Opfer gefallen sein. Die Bloodlands raste noch immer mit wahnwitziger Geschwindigkeit, begann jedoch langsam zu bremsen. Kark starrte fasziniert auf die Außenmonitore. Mit der abnehmenden Geschwindigkeit begann das Bild des Universums dort draußen an Normalität zurückzugewinnen. Schließlich zeigten sich wieder unverzerrte Ansichten fremder Sterne und Planeten. Die Bloodlands stand still.
"Wach auf! Sofort! Komm endlich zu Dir! Da mach ich eine geschichtsträchtige Tat und dieser Kerl schläft !" Nit lag immer noch ohnmächtig am Boden. Die meisten anderen Crewmitglieder hatten sich bereits wieder erholt und starrten einander ungläubig an. Sie funktionierten wieder, ja sogar noch mehr, sie lebten alle noch. Es war tatsächlich geschehen. Es war möglich geworden. Das Universum hatte sich mit einem Schlag vergrößert. Oder sollte man sagen, vervielfacht? Vielleicht war es aber auch einfach nur schon immer größer gewesen, als man als Zitrone angenommen hatte.
"Was ist mit den Computern?" fragte Kark ungeduldig den diensthabenden Techniker. Noch immer flimmerten alle Monitore. "Hmm, das scheint mir eine ganz einfach zu erklärende Systemstörung zu sein. Alle Programme wurden unter der festen Annahme erschaffen, dass das gesamte Universum nur eine gewisse, begrenzte Ausdehnung und feste Form besitzt. Von der Abstandssensorik zu unserem Heimatplaneten bis zum Funkzeitchronometer verwenden alle Moduln diese Vorgaben. Dummerweise befinden wir uns aber jetzt physikalisch, also sozusagen körperlich, außerhalb der südwestlichen Galaxie. Für unsere Programme ist dieser Zustand schlichtweg unmöglich, nicht vorgesehen und nicht erlaubt. Das gleichzeitige physikalisch nicht wegzudiskutierende Befinden des Computers in diesem nicht erlaubten also undefinierten Zustand hat eine globale Ressourcenfehlbelegung verursacht." "Ich entnehme deinem langatmigen aber nichtsdestoweniger aussageschwächlichen Geschwätz also folgendes: Der verdammte Computer ist hinüber!" "Jawohl, Herr Subraumkommandant. Wen Grund und Ursache nicht weiter interessieren, der mag es auch so ausdrücken." "Na gut, wenn du den Störungsgrund kennst, dann ist es ja wohl ein leichtes für dich, die Kiste wieder in Gang zu setzen!" Kark wandte sich ab, bevor der Techniker seine Bedenken bezüglich der letzten Bemerkung anbringen konnte. Er wollte sich gerade wieder der vielversprechenden Aufgabe widmen, seinen Geschichtsschreiber höchstpersönlich wachzubrüllen, als plötzlich ein alarmierender Schrei durch die Kommandobrücke hallte: "Herr Kommandant, etwas Unglaubliches ist geschehen! Wir haben endlich die Nachricht empfangen!"
5. KAPITEL
Iontgfgz war sehr eigenartig zumute. Er fühlte etwas, konnte sich aber nicht erklären, was das sein mochte. Fühlen. Das war etwas, was er nur von den Menschen kannte, die Wesen, die er so sehr bewunderte. Die Wesen, gegen die seine Rasse diesen sinnlosen Blitzkrieg geführt und verloren hatte.
Obwohl die Menschen seiner Rasse eigentlich so ähnlich waren, trennten sie Welten. Das schmerzte ihn.
Iontgfgz bewunderte die Menschen wirklich. Sie konnten fühlen... sie lachten, weinten und wurden zornig. Eigenschaften, die den Rhufdsag fremd waren. Die Menschen waren erstaunlich. Eigentlich unfähig und degeneriert, und doch so mächtig. Sie hatten einfach eine wesentlich ausgefeiltere Technologie, vor allem was Vernichtungswaffen anging. Das hatte man im Verlauf des Krieges gesehen.
Er bewegte sich unruhig in seinem Hguilab-Bad hin und her. Eigentlich sollte das ein Regenerationsbad sein. Aber diese kleinen Zweibeiner gingen ihm nicht aus dem Denkgehäuse. Lärm dröhnte von der gegenüberliegenden Seite des amorphen Raumes. Iontgfgz jedoch ignorierte das im Moment. Statt dessen folgte er weiter seinem Gedanken.
Zwar waren die Menschen erbitterte Feinde der Rhufdsag. Die meisten seiner Artgenossen verdammten die hässlichen Zweibeiner, die nur mit zwei Augen sehen konnte und so krank blässlich gefärbt waren. Aber Iontgfgz dachte anders. Schließlich war er eine Art Philosoph seines Volkes. Er hatte aber leider nicht besonders viel zu melden. Seine Aufgabe in der Gesellschaft der Rhufdsag war lediglich der Abtransport unsinnig herumliegender Gedankenhülsen, und da war eine Statussteigerung kaum drin. Er war sozusagen ein selbsterklärter Philosoph. Seine Sympathie für Menschen durfte nicht so deutlich hervortreten, dass es seine Artgenossen merkten. Das würde sicher mit weitergehender Degradierung oder gar mit Freiheitsentzug geahndet werden.
Es herrschte noch immer Waffenstillstand. Beide Seiten beäugten sich seit einigen Jahren argwöhnisch. Aber das Ende, das sich nun für die Menschen abzeichnete, hatten die Kriegsgewinner wirklich nicht verdient.
Die Zitronen waren auf dem Vormarsch. Er verfolgte die Bewegungen dieses kriegerischen Volkes schon lange. Erst vor einigen Tulocqs hatte ein vorwitziger Kommandant der Zitronen entdeckt, dass das Universum sich doch über die südwestliche Galaxie hinaus erstreckte. Das hatte ihm sein Spion an Bord der "Bloodlands" (was für ein lächerlicher Name für ein Raumschiff!) gemeldet, bevor der Funkkontakt endgültig abbrach. Außerdem hatte sein persönlicher Kommunikationscomputer ein deutliches Signal aufgefangen, das von dem riesigen mechanischen Erdtrabanten, der den kleineren Trabanten der Rhufdsag im Krieg vernichtet hatte, ausgestrahlt worden war. Das Signal war auf den Sektor der südwestlichen Galaxie gerichtet. Eine Art Positionssignal? Das hatte keinesfalls etwas Gutes zu bedeuten. Und sollte die Menschheit möglicherweise von einem zurückgebliebenen und enorm brutalen Assimilatorenvolk aus dem hinteren Teil der Weltallslums alsbald völlig ausgerottet werden?
Er wälzte sich auf die andere Seite. Das Hguilab schwappte hin und her. Er musste etwas unternehmen. Der Lärm nahm wieder zu. Iontgfgz wandte sich dem Fernsehgerät zu, das am anderen Ende des Raumes plärrte. Er hatte es während des Krieges einem abgestürzten Kampfraumer der Menschen entnommen und in Gang gebracht. Sogar die menschliche Sprache konnte er schon ansatzweise entziffern. Was allerdings dieser Mensch namens "HANS MEISER" heftig gestikulierend daherbrabbelte, entging seinem Intellekt. Menschen waren schon seltsam. Aber skurril und liebenswert. Er musste sie warnen. Iontgfgz fasste einen Entschluss.
Er begab sich in (einigermaßen versteckter und daher unauffälliger) Hektik zum Flughangar und bestieg seinen Mini-Gleiter. Sein Ziel war die Raumstation der Menschen. Er wollte versuchen, dem Stationsleiter eine Warnung zukommen zu lassen. Denn ein solches Ende hatten die Menschen sicher nicht verdient. Entschlossen initiierte er die Startsequenz und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Es würde eine schwierige Aufgabe werden.
6. KAPITEL
Lärm drang durch die endlosen Gänge der Bloodlands. Gieriges Grunzen, Schreien und das scheußliche Schnarren verschiedenartigster Waffen. Die Besatzung, die sich mittlerweile wieder vollständig von dem Schock der Subraumgrenzüberwindung erholt hatte, war kaum noch zu halten. Der schwarze Agent hatte sich gemeldet. Er hatte ein Signal gesetzt, und damit nicht nur bewiesen, dass das Universum größer war als bisher zitronengemäß angenommen - das wusste man an Bord der Bloodlands ja auch schon mittlerweile -, sondern er hatte noch etwas viel schöneres signalisiert: Die Aussicht auf Morden und Plündern, auf Meucheln und Vernichten. An der Ursprungsposition des Signals schien sich eine riesenhafte Station zu befinden, voller potentieller Angriffsziele. Neben der Position der Station enthielt die Nachricht auch noch einen bis dato unbekannten Kennungscode. Weitere Details zu Station und Besatzung fehlten leider. Kark hatte dem schwarzen Agenten zwar explizit angewiesen, jegliche verfügbare Information sowie mindestens zwei Urlaubsgrüße mit Ansichten der schönsten Sehenswürdigkeiten zu schicken, aber offensichtlich war dieser Versager daran gehindert worden.
Gnit drehte seine Runde. Das war nichts ungewöhnliches. Schließlich war er ein Gnot. Und Gnots waren seltsame Wesen. Sie bevölkerten stets die Außenbezirke von Subräumen, bestanden im wesentlichen aus einer deformierbaren Kugel und rollten den ganzen Tag im Kreis herum. Natürlich immer denselben Kreis. Natürlich zeigte das Auswirkungen auf die Oberfläche der Planetoiden, auf denen sie wohnten. Die kreisförmigen Gräben wurden tiefer und tiefer und waren vom Weltraum aus weithin sichtbar.
Gnit drehte also seine Runde. Er war noch relativ jung und daher war sein Graben noch nicht sehr tief. Dadurch konnte er auch das riesenhafte Raumschiff sehen, das seinen Planetoiden im Schatten versinken ließ. Er dachte sich auch noch nichts dabei, als sich mehrere kleinere Raumschiffe davon lösten und Kurs auf seinen Planetoiden nahmen. Er rollte schließlich im Kreis. Und solange er rollte, war alles in Ordnung, hatte er nichts zu denken.
"Was sind das für seltsame Dinger da unten?" Llik flog seinen Kampfgleiter tiefer zur Oberfläche des Planetoiden. Er war mit der Untersuchung der fremdartigen Kolonie beauftragt worden. Speichel rann aus seiner Nahrungsschnittstelle. Seit hunderten von Zerfallsreihen hatte er schon keinen Kampf mehr gehabt. Bevor jedoch die anderen Kampfgleiter der Zitronen bis zu ihm aufrücken konnten, hatte Llik schon das Feuer eröffnet. Die Maserkanonen schoßen tiefe Furchen in die Planetoidenoberfläche. Zahlreiche Gnots flogen durch die Luft. Llik konnte nicht mehr ablassen. Er schoss immer weiter. Immer tiefere Krater und Gräben. Bis schließlich der Planetoid, der ohnehin schon durch die jahrelange Arbeit der Gnots durchlöchert war, nachgab und zerbarst. Die Gnotkolonie war ausgelöscht. Die Bloodlands hatte ihr erstes Opfer gefunden.
Und wieder einmal bewies der große Kark sein bewundernswertes Geschick im Führen blutiger Schlachten. Nur durch sein nacheifernswertes strategisches Können, gelang es dem allmächtigen Volk der Zitronen ein weiteres Mal ein stumpfes, namenloses Fleckchen des Universums in den universalen Frieden der Zitronen einzugliedern. Eine unbekannte Lebensform stetig rollender Einzelwesen wurde aus seinem dumpfen Dasein erlöst und unter der brutalen und daher verehrungswürdigen Führung des großen Subraumkommandanten Kark einem höherem Zweck zugeführt. Nit bestätigte die gerade vollendeten Zeilen des neuen Kapitels und lehnte sich zurück. Die Arbeit an Kark und das restliche Universum - Die Chronik einer Karriere kostete ihn jedesmal viel Kraft. Da nicht alle seiner Genetikchips von einem Zitronen stammten, musste er stets seine volle Konzentration aufbringen, um sich in die zitrone Denkweise einzufühlen. Ein falsches Wort und Kark würde ihn töten lassen. Das lag weniger an Kark selbst. Sie beide hatten in den letzten 24 Jahren schon fast so etwas wie ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. Wenn so etwas überhaupt mit einem Zitronen möglich war. Aber Kark musste stets an seine Position und Autorität denken. Und das gebot nun mal die sofortige Tötung eines Geschichtsschreibers, falls dieser die falschen Worte schrieb.
Nit war nervös. Die Zitronen waren auf dem besten Wege, die Menschen wiederzuentdecken. Vor langer Zeit - in Menschenjahren etwa 274 Jahre - gab es schon einmal Kontakte zwischen Zitronen und Menschen. Damals wurde ein kleiner Kampfkreuzer der Zitronen durch einen Asteroidensturm soweit abgetrieben, dass er den südwestlichen Subraum verließ. Die Besatzung begann sofort einen sinnlosen Feldzug und traf dabei auch auf Menschen. Unter anderem erbeutete sie auf einem Wissenschaftsschiff der Menschen den Genetikchip, den Nit heute in sich trug. Langfristig hatte der kleine Kampfkreuzer natürlich keine Chance gegen all die zahlreichen Gegner. Die Besatzung wurde aufgerieben. Nur zwei Zitronen gelang die Rückkehr in den südwestlichen Subraum, jedoch schenkte ihnen niemand Glauben. Ja sogar noch schlimmer: Sie wurden wegen schlimmer Ketzerei gegen das zitrone Weltbild angeklagt und zum Tode verurteilt. Nur einem der beiden gelang die Flucht, dem späteren Kreator von Nit. Dieser zog sich in die vordere Bergspitze zurück und widmete sich der Aufzucht gelbgrüner Schweine. Dort kreierte er auch Nit und gab all sein Wissen über die Menschen an ihn weiter. Leider kam er bald darauf in einer Steinlawine um. Nit verließ die Berge und ging in die zweitgrößte Stadt, um eine Karriere als Geschichtsschreiber zu beginnen. Das war vor ungefähr 193 Menschenjahren. Das Alter von Zitronen ist theoretisch unbeschränkt, wenn sie nicht ständig Kriege führen und dabei umkommen würden. Nit hatte niemals über sein Wissen um die überschreitbaren Subraumgrenzen und die Existenz der Menschen gesprochen; zu gut hatte er noch das Schicksal des Kameraden seines Kreators in Erinnerung.
Und jetzt saß er an Bord der Bloodlands. Auf dem Wege zu den Menschen. Und er war nervös. Außer einem Genetikchip verband ihn noch etwas mit den Menschen. Man könnte es einen Auftrag nennen ...
7. KAPITEL
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Orson drückte auf den roten Ausschaltknopf der Fernbedienung. Mit einem schwachen Aufflackern verschwand das Bild auf dem Tele-Screen. Manchmal kam er ins Grübeln. Die Menschheit hatte sich wohl nicht wirklich weiterentwickelt. Sie hatte Kriege überstanden und sich mit Außerirdischen herumgeschlagen. War erschreckend dezimiert worden. Und diejenigen, die nun noch übrig waren, mussten sich noch immer denselben Blödsinn wie vor Jahrhunderten antun. Werbefernsehen. Was für ein Wort. Aber es sagte alles aus. Lediglich "HANS MEISER" sah er sich ab und zu ganz gerne an. Nur war der Typ auch schon ziemlich alt geworden ...
Und auch er fühlte sich schon ziemlich alt. Vor allem nach dem gestrigen Vorfall. Er hatte Stunden unter der Hydrodusche verbracht, um das ölige Blut des Aliens von seiner Haut zu schrubben. Die Putzkolonne war in der Navigationskontrolle noch immer mit Aufwischen beschäftigt. Zu seinen besten Zeiten, kurz nach den Ausbildungsjahren des Weltraumjäger-Geschwaders, war er sportlich sehr fit gewesen. Aber er war mittlerweile in seiner Funktion als Sektionsleiter der "Blechkugel" doch sehr eingerostet. Er hatte auch nicht im mindesten damit gerechnet, Jahre nach dem interstellaren Krieg mit den Außerirdischen noch einmal auf einen zu treffen, und zwar auf einen ziemlich bösartigen. Damals, als Kampfpilot, hatte er ihnen Zunder gegeben. Und war, wie alle respektvoll von ihm wussten, auch dafür ausgezeichnet worden. Er hatte aus einem zerstörten Alien-Raumer ein eigenartig aussehendes Gefäß geborgen. Die Flüssigkeit, die in diesem Gefäß herumschwappte, hatte keine irdische Farbe. Sie stellte sich als hervorragendes Badegel heraus und erzeugte eine wunderbar prickelnde Reaktion auf der Haut. Das hatte er gerade eben wieder gespürt, als er unter der Dusche stand.
Orson stand langsam auf. Nur zu gern hätte er den Händler aufgesucht, um ihm eine Tube des sagenumwobenen "Sunblock 3000" abzukaufen. Aber niemand nahm ihm seine unangenehm verantwortungsvolle Position in der Station ab. Er dachte nach.
Dieses schwarze Wesen hatte, bevor er es erschossen hatte, noch ein Signal senden können. Dieses Signal hatten seine Leute natürlich verfolgt. Es zielte genau auf eine Stelle entlang der Subraumgrenze. Leerer Weltraum. Warum um alles in der Welt sendet ein fremdartiger Eindringling ein Signal in den leeren Raum und setzt dabei sein Leben aufs Spiel? Da steckte etwas dahinter. Und Orson war sich sicher, dass da noch etwas unangenehmes auf ihn zukam.
Er beschloß, sich auf den Weg zu Sektor, wie hieß er noch gleich? (der Computer würde ihm schon den Weg weisen) zu machen, als sich plötzlich der Tele-Screen automatisch selbst aktivierte und eine persönliche Nachricht durchstellte. Auf dem Schirm erschien Holt, sein junger Adjutant, rechte Hand und Aspirant auf seinen hohen Posten als Sektionsleiter. Orson brachte ihm gemischte Gefühle entgegen. Ohne Zweifel war Holt sehr fähig. Das spiegelte sich in seinem verhärmten, besorgten Gesichtsausdruck wider.
"Sir, verzeihen Sie die späte Störung", begann Holt, "aber ich denke, ich habe etwas sehr Wichtiges für Sie." Widerstrebend setzte sich Orson wieder in den Sessel, seufzte leise. "Nun, Holt. Was gibt's denn?"
Holt kratzte sich seinen Bart. "Eine unserer Patrouillen flog heute nachmittag am Heimatplaneten der Gnots vorbei. Oder besser gesagt, was davon übrig ist. Er fand nur noch radioaktive Partikel. Offensichtlich sind die Gnots ausgerottet worden."
Orson wiegte nachdenklich den Kopf, hakte dann das Problem ab. "Holt, ich muss Ihnen nicht sagen, dass im Weltall ständig was los ist. Völker entstehen und werden ausgerottet. Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine intergalaktische Fehde. Und das geht uns nun wirklich nichts an. Was die Gnots angeht: Diese Wesen rollen doch ständig im Kreis herum, nicht? Und ziehen immer tiefer werdende Gräben, oder? Welch wichtiger Bestandteil der Völker in der Galaxie."
Holt hatte den Spott in Orsons Tonfall nicht überhört und errötete leicht. "Aber Sir, im Zusammenhang mit den Vorfällen..."
Weiter kam er nicht. Die Alarmsirene schnitt ihm das Wort mitten im Satz ab. Orson fuhr aus dem Sessel. Die Zimmerbeleuchtung färbte sich rot. Auf dem Schirm gingen Holts Augen hin und her. Hektisches Gewusel spielte sich hinter ihm ab.
"Was hat das zu bedeuten?" Orson näherte sich unruhig dem Schirm. "Einen Moment, Sir, dann weiß ich Bescheid." Holt drückte einige Tasten und blickte dann wieder auf Orson. "Sie sollten so schnell wie möglich hierher in den Leitstand kommen. Wir haben doppelten Kontakt. Zwei unidentifizierte Raumschiffe nähern sich unserer Station."
Schon wieder befand sich Orson im Laufschritt im Korridorgeflecht der "Blechkugel". Es war wie verhext. Hier braute sich etwas Unheimliches zusammen. Er hatte beschlossen, vorsichtshalber eine Generalmobilmachung zu befehlen. Man konnte ja nie wissen. Zwei unbekannte Raumschiffe, das konnte selten etwas Gutes bedeuten...
Fast außer Atem kam er im Leitstand an, wo ihn bereits ein recht ratlos dreinblickender Holt erwartete.
"Sir, beide Schiffe kommen schnell näher. Es ist, als ob sie ein Wettrennen veranstalten wollen, dessen Ziel wir zu sein scheinen." Holt schien von einer kribbeligen Nervosität erfaßt. Dies war sein erster echter Notfall.
Orson ging schnaufend an Holt vorbei, stellte sich vor die Hauptkonsole und justierte den View-Screen so, dass er beide Raumschiffe im Blickfeld hatte. Ihm entfuhr ein leises "Verdammt", als er das Bild sah.
Die Bauart des größeren Raumschiffs war ihm unbekannt. Es sah sehr eigenartig aus, als ob es aus vielen einzelnen Schrottpartikeln zusammengeschweißt worden wäre. Sein Hauptbestandteil war ringförmig und von einem stabförmigen Haupttrakt durchzogen. Die Aufschrift auf dem Rumpf war fremdartig und unlesbar. Orson kommandierte: "Jagen Sie diese Schriftzüge durch den Hauptcomputer. Falls die Schrift identifiziert wird, will ich es sofort wissen."
Das kleinere der beiden Raumschiffe kam ihm sofort bekannt vor. Es hatte die vertrauten Züge eines Raumers der Außerirdischen. Seine Zeit als Kampfpilot kam ihm wieder in den Sinn. Orsons Hände krampften sich am Pult zusammen. Was wollten die schon wieder? Oder sollte das ein gemeinschaftlicher Besuch mit unbestimmten Ende sein?
Er wandte sich zu Holt um. "Nehmen Sie sofort zu beiden Schiffen Kontakt auf und lassen Sie Friedensbotschaften senden. Lassen Sie aber trotzdem sämtliche Laserkanonen in Einsatzbereitschaft versetzen. Man kann ja nie wissen."
Die Raumschiffe kamen immer näher. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, dann würde es Kontakt geben. Und Gott weiß, was dann passierte.
Holt war noch nicht am Ende. "Da ist noch etwas, Sir. Ich weiß, jetzt ist vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt, aber..." Orson unterbrach ihn barsch. "Heraus damit! Schlimmer kann es kaum kommen."
"Da wäre ich nicht so sicher, Sir", druckste Holt herum. "Die Leichenhalle meldet, dass in der Nacht von gestern auf heute eine Leiche gestohlen wurde." Orson wurde kreidebleich. Er wusste zu genau, was jetzt kommen würde.
"Ja, Sir", sagte Holt. "Es ist die von Drabosh."
8. KAPITEL
Kark blickte ungeduldig auf den plasmonischen Schirm. Solch eine Ansammlung an häßlichen Raumschiffen hatte er schon Millionen von Zerfallsreihen nicht mehr gesehen. Das eine - winzige - schien kaum des Fliegens mächtig zu sein. Das zweite war eine gigantische aber trostlos langweilige, gleichförmige Ansammlung an Materie. Alle beide hatten eine glatte, runde Oberfläche und widersprachen zutiefst dem Schönheitsideal der Zitronen. Alles war auf Symmetrie angelegt... 'Vermutlich haben sie auch noch eine zentrale Kommandobrücke, das würde einen Kampf natürlich erheblich erleichtern' dachte Kark, 'Ein gezielter Treffer und der Feind wäre erledigt'. Kark versuchte irgendein Detail zu entdecken, irgendeine Schwachstelle des gegnerischen Raumschiffes. Dass es ein Gegner sein würde war natürlich selbstverständlich, schließlich war es kein Raumschiff der Zitronen! Und selbst wenn es eines wäre, würde das auch keinen großen Unterschied machen. Auf einer Friedensmission musste man jeden potentiellen Unruhestifter entschärfen.
"Verdammtes Ding!" fluchte Kark. Der plasmonische Schirm hatte inzwischen die maximale Detailauflösung erreicht und verweigerte jede weitere Bildvergrößerung. Plasmonische Schirme waren eine geniale Erfindung der Zitronen und eine ihrer wirksamsten Waffen. Sie waren in der Lage Eventualitäten darzustellen. Eine Eventualität ist ein möglicher Ablauf des Geschehens. Zu jedem Zeitpunkt existieren viele dieser Eventualitäten parallel im Raum-Zeit-Kontinuum (, das nebenbei gesagt auch lange nicht mehr so kontinuierlich ist wie früher). Natürlich ist jedes Lebewesen nur in der Lage genau eine dieser Eventualitäten als gegenwärtige Realität wahrzunehmen. Der plasmonische Schirm konnte nun eine alternative Wirklichkeit darstellen. Hierfür benutzte er einen fiesen Trick, der gezielt Wurmlöcher im Raum-Zeit-Kontinuum ausnutzte. Das Ganze war wahnsinnig kompliziert und konnte auch nur von ganz wenigen verstanden und bedient werden. Um genau zu sein gab es nur zwei Zitronen im südwestlichen Subraum, die den plasmonischen Schirm bedienen konnten, einer davon war Kark. Das war vermutlich auch der Grund, warum er Subraumkommandant war. Damit dies auch so blieb, war es allen Besatzungsmitgliedern streng verboten, den Raum mit dem plasmonischen Schirm zu betreten.
Kark veränderte vorsichtig die Schalthebel. Er konzentrierte sich. Die Bloodlands befand sich reichlich nahe vor dem menschlichen Kommandoraumschiff. So sahen es auch die Menschen. Die Realität der anderen Zitronen an Bord und die Realität ihres Schiffes war jedoch eine andere: Die Bloodlands befand sich in sicherer Entfernung zum Raumschiff der Menschen hinter einem alten Mond, der schon vor etlicher Zeit seinen Planeten aufgrund eines unschönen Zwischenfalls verloren hatte. Ein Kampfkreuzer der Menschen hielt ihn für ein getarntes Raumschiff der Rhufdsag. Nachdem er auf mehrere Funksprüche mit der Aufforderung die Tarnung aufzugeben keine Reaktion zeigte, gab der Kommandant der Menschen den Befehl, den Planeten zu zerstören. Seitdem trieb sein Mond etwas ziellos umher und diente jetzt als Versteck der Bloodlands.
"Noch immer keine Reaktion des großen unbekannten Flugkörpers!" berichtete Holt. Der Ton seiner Stimme verriet die große Nervosität, die momentan nicht nur Holt plagte. Auch Orson befand sich unter höchster Anspannung. Nur einen Moment zu lange gezögert, nur eine falsche Entscheidung und es konnte zu spät sein. Wenn man wenigstens wüßte, was es mit dem plötzlichen Auftreten dieser beiden Schiffe auf sich hatte. Bestand ein Zusammenhang? Hatten die Rhufdsag neue Verbündete gefunden? Es war weniger die Gefahr, die Orson Sorgen bereitete. An die hatte er sich in den vielen Jahren als Kampfpilot gewöhnt. Es war vielmehr die Ungewissheit. Auch nach all den Jahren des Friedens war Orson im Grunde doch ein Soldat geblieben, daran gewohnt einen eindeutigen Auftrag zu haben und gegen einen definierten Feind zu kämpfen. Aber es bereitete ihm enorme Schwierigkeiten in dieser Ungewissheit Entscheidungen zu fällen.
"Was sollen wir machen?" fragte Holt. "Ordnen sie eine Mobilmachung aller Jagdgeschwader unserer Sektion an!" befahl Orson. "Aber dazu benötige ich die Einwilligung des Generaldirektors.." "Dann holen sie diese ein, verdammt nochmal! Muss man ihnen denn alles erklären?" herrschte ihn Orson an. Holt duckte sich und kam dem Befehl nach. Alle Anwesenden schienen sichtlich erleichtert. Die Strenge und Souveränität ihres Vorgesetzten beruhigte. Er schien alles unter Kontrolle zu haben. Wenigstens er schien zu wissen, was zu tun ist. "Und dann lassen sie denjenigen diensthabenden Wachoffizier hier in den Leitstand kommen, der für den Bereich der Leichenhalle verantwortlich ist" befahl Orson. Irgendetwas sagte ihm, dass dort der Schlüssel zu den Problemen lag. Zumindest hatten alle Probleme mit dem tödlichen Überfall auf Drabosh begonnen. "Sir," unterbrach Holt seine Gedanken "sehen sie sich das an!" Orson sah auf den View-Screen. Etwas unglaubliches schien zu geschehen. Während der Rhufdsag-Raumer nach wie vor deutlich zu sehen war, bekam das andere Schiff Risse und Flecken. Es begann zu flackern wie die Projektion eines schlechten Films und verschwand mit einem Schlag komplett vom Schirm. "Adjudant Martow, Bericht!" "Es gibt keine Spur mehr von dem zweiten Raumschiff. Sämtliche Sensoren zeigen nur mehr die Existenz des Rhufdsag-Raumers an! Wir haben den Kontakt verloren!"
Kark schaltete den plasmonischen Schirm ab. Seine Realität war wieder dieselbe wie die aller anderen Zitronen. Er befand sich mit der Bloodlands hinter einem alten Mond. "Achtung!" brüllte er in das Bong 37 Lautsprechersystem, "Alle wirklich wichtigen Offiziere treffen sich in 70 Zerfallssreihen im Séparée zu einer Lagebesprechung! Es geht um die erfolreiche Assimilation einer unbekannten Lebensform!"
9. KAPITEL
Orson blinzelte benommen auf den View-Screen. Was war das denn nun gewesen? Eine neue Art Waffe? Oder Verblüffungstaktik?
Er fasste sich und befahl: "Die Generalmobilmachung bleibt bestehen, auch wenn sich der Feind nunmehr halbiert hat." Er beobachtete die Auswirkung seiner Worte auf seine Kollegen im Kommandostand, und er fühlte sich bestätigt. Tatsächlich entspannten sich die meisten und atmeten wieder tiefer durch. Sie hatten ungebrochenes Vertrauen zu ihm, das er nicht enttäuschen durfte.
"Holt mir bitte diesen kleinen Raumer da rein, ich will ein paar Worte mit dem Piloten wechseln. Vielleicht klärt das einiges."
Martow drehte sich wieder zur Konsole zurück. Holt dagegen stand noch etwas unschlüssig in einer Ecke des Raumes. Offensichtlich war er solche Situationen nicht gewöhnt. Er hatte den Krieg nicht miterlebt. Orson ließ sich in einen freien Sessel fallen und beobachtete das kleine Raumschiff auf dem Schirm immer größer werden.
Das Schott zischte seitwärts und Sighardt, ein hochgewachsener Offizier, betrat den Leitstand. Er baute sich vor Orson auf. "Sir, Sie wollten mich sprechen."
Orson schien aus Gedanken gerissen. "Ah, ja. Stehen Sie bequem, Sighardt. Berichten Sie mir bitte, was in der Leichenhalle passiert ist."
Sighardt errötete leicht. Das war bei der Größe dieses Mannes eine etwas skurrile Erscheinung. "Ich hatte nur für einen Moment den Raum verlassen, um mir einen Kaffee zu holen, Sir. Als ich zurückkam, da stand der Deckel der Kammer, in die man Draboshs Leichnam gelegt hatte, offen. Auf dem Boden fand ich lediglich eine Blutspur, die aber nach zehn Metern außerhalb der Halle wieder endete. Jemand muss ihn da herausgezerrt und mitgeschleift haben."
Orson überlegte. "Danke Sighardt. Sie können wieder auf Ihren Posten gehen. Und bitte, sorgen Sie dafür, dass die Leichenhalle in dem Zustand belassen wird. Ich werde bei Gelegenheit selbst hinuntergehen und mir ein Bild von der Sache machen."
Die Röte wich aus Sighardts Gesicht. Erleichtert drehte er sich um und verließ den Raum. Orson richtete sein Hauptaugenmerk wieder auf den Schirm. Im Leitstand herrschte Stille, nur ein paar Computer surrten und ein paar Relais klickten. Da meldete sich plötzlich Martow zu Wort.
"Sir! Der Rhufdsag-Raumer meldet sich. Der Pilot bittet um ein Gespräch. Und zwar mit Ihnen persönlich." Martow glänzten Schweißperlen auf der Stirn. Er wurde weißlich um die Nase. Und Orson fühlte sich auch nicht besser. Das ungute Gefühl steigerte sich kontinuierlich.
"Stellen Sie mir das Gespräch in meinen Privatraum." Orson stand auf und war wieder in den Korridoren unterwegs. Dieses schwarze Wesen hatte ein Signal in den Weltraum gesendet. Konnte es sein, dass dieses eben verschwundene große und hässlich aussehende Raumschiff davon gerufen worden war? Gab es da eine Art vereinbartes Zeichen? 'Heute wäre ich wohl besser nicht aufgestanden', dachte er bei sich, als er in seinem Raum ankam und sich das Schott hinter im zischend schloss. Er war im Moment außer Stande, recht viel mehr zu tun, als den Ruf des Rhufdsag zu beantworten.
Der Tele-Screen zeigte bereits das Wartesymbol eines ankommenden Rufes. Orson, der sich wieder gesetzt hatte, schluckte und drückte auf die Annahmetaste.
Zunächst blieb der Schirm dunkel. Danach folgte statisches Rauschen. Doch langsam waren Schemen zwischen den Pixeln zu erkennen. Das Bild wurde klar. Orson kannte das Erscheinungsbild der Außerirdischen gut genug, um nicht sofort zusammenzuzucken. Er beäugte sein Gegenüber mit kritischem Blick.
Iontgfgz begann kaum zu sprechen, als augenblicklich der Simultan-Übersetzungscomputer ansprang und seine Sätze in menschlichen Lettern unter den View-Screen zauberte.
"Sei gegrüßt, Mensch. Bist Du der Führer dieses Gebildes?"
"Ja, ich bin John Orson, der Sektionsleiter. Was verschafft mir dieses unerwartete Vergnügen?" Orson versuchte betont, höflich zu bleiben. Man konnte nie wissen. Vielleicht lauerte eine Armada hinter dem Mondüberrest, und wartete nur auf eine günstige Gelegenheit zum Angriff, falls diese diplomatische Verhandlung scheitern sollte.
Iontgfgz verzog keine Miene (vermutete jedenfalls Orson). "Ich komme allein und auf volles eigenes Risiko. Sie sind im Begriff, geentert zu werden."
Ein eisiges Gefühl schoss Orson durch den Magen. "Fahren Sie fort."
"Ich fühle gegenüber Ihrer Spezies eine gewisse Sympathie, das muss ich gestehen. Hier ist meine Botschaft. Das Volk der Zitronen bereitet sich vor, die Menschheit auszurotten. Das große Raumschiff, das Ihnen sicher nicht entgangen ist, ist eines ihrer Schlachtschiffe. Die Zitronen sind brutal. Sie begnügen sich nicht damit, Gefangene in ihr Kollektiv einzugliedern, wie es einst die Borg taten. Nein. Sie vernichten alles, was ihnen den Weg quert. Treffen Sie sofort..."
Eigenartigerweise dachte Orson amüsiert über saure gelbe Früchte nach, als der Bildschirm plötzlich dunkel wurde. Auf die Dunkelheit folgte wieder das Rauschen von vorhin. "Was zum...?!" Fluchend hieb er auf die Interkom-Taste. "Holt! Meine Verbindung wurde gekappt. Was ist los da draußen?"
Holt brauchte einige Sekunden um Luft zu holen. "Sir", seine Stimme bebte, "der Raumer des Rhufdsag wurde soeben zerstört. Er explodierte einfach."
'Verdammt', dachte Orson, 'ich wollte noch so vieles fragen'. "Von woher erfolgte der Angriff?"
Noch ein paar Sekunden. Orson spürte förmlich, wie sich Holt den Bart kratzte. "Es erfolgte kein Angriff. Oder aber... der Angriff erfolgte aus dem Nirgendwo. Das, äh, hört sich, äh, ja. Hm. Ich weiß, ich..."
Orson musste in den Leitstand. Er hatte Holt als seinen Stellvertreter doch überschätzt. Er schien langsam aber sicher die Fassung zu verlieren. Nun gut. Es war in den letzten zwei Tagen auch soviel wie seit zehn Jahren nicht mehr passiert.
Er sprang auf und machte sich wieder auf den langen Rückweg. Eines stand fest: er würde bis ins hohe Alter hinein rüstig bleiben, wenn er weiterhin soviel lief. Apropos laufen. Er bemerkte seine losen Schuhbänder. Das war ihm nicht aufgefallen. Er stoppte kurz und kauerte nieder, um die Senkel wieder zu verknoten.
Da fiel ein Schatten auf ihn. Orson spürte sofort die Präsenz eines Wesens direkt vor ihm. Eine heftige Angst befiel ihn. Er wollte nicht aufsehen - und tat es schließlich doch.
Vor ihm stand Drabosh. Stanley Drabosh. Der getötete Leichnam. Er stand da einfach so und sah ihn an. Und er sprach ruhig und gelassen, während ihm Blut in Strömen aus der zerschnittenen Halsschlagader sprudelte.
"Ich bitte, vom Dienst suspendiert zu werden, Sir. Ich habe nicht aufgepasst, und mich umbringen lassen."
Orson wurde schwarz vor Augen.
10. KAPITEL
Llik kam zu spät. Das war normal. Nicht ungewöhnlich. Jedoch war es kein gutes Zeichen, dass er später als Kark im Séparée erschien. Denn natürlich musste normalerweise der ranghöchste Offizier als letzter eintreten. Stattdessen trat nun der dritthöchste Offizier ein.
"Llik! Wie schön, dass auch Du Zeit gefunden hast zu unserer kleinen, unwichtigen Versammlung zu erscheinen." eröffnete Kark die Versammlung. "Entschuldigt, Meister des schlechten Geschmacks, aber ich wurde unterwegs aufgehalten ... der Verkehr, man kennt das ja!" "Das ist lächerlich! Ihr begehrt stattdessen den höchsten Rang auf unserem Schiff und nehmt Euch daher das Recht heraus, als letzter zu erscheinen!", schrie Mielhcs - ein Günstling von Kark, der keine Gelegenheit versäumte, sich demonstrativ auf Karks Seite zu stellen. Kark war zwar eigentlich angewidert von Mielhcs offensichtlichen Einschmeichelungsversuchen, aber in diesem Fall ließ er ihn nur zu gerne aussprechen, was auch er selbst schon seit langem vermutet hatte. "Ein Subraumkommandant muss nicht automatisch auch der Kommandant des Raumschiffes sein, auf dem er sich befindet." entgegnete Llik in die gespannte Stille. "Das ist Verrat!" schrie Mielhcs. "Keineswegs. Ein Kommandant kann auch ganz legal abgesetzt werden. Wenn es die Umstände nahelegen." "Aber das ist noch niemals vorgekommen in der ganzen, glorreichen Geschichte unseres blutrünstigen Volkes!" Selbst in der höchsten Erregung zitierte Mielhcs ordnungsgemäß die vorgeschriebenen Phrasen. "Oder glaubt Ihr, dass ausgerechnet Ihr der erste seid, der sich dieses unwürdigen Gesetzes als erster bediente?" "Und wenn es so wäre?" begann Llik. "Dann musst Du sterben!", schrie Kark um die Diskussion abzukürzen.
Plötzlich wurde es still im Raum. Noch nie war der Machtkampf so offen zu Tage getreten. Die Frage so gestellt worden. Kark spürte, wie seine Untergebenen plötzlich begannen, nachzudenken. Das galt es zu verhindern. Er stand auf. Llik erkannte das Zeichen, duckte sich und entkam um Haaresbreite einem dolchartigen Metall, das Kark im Aufstehen geworfen hatte. "Tötet ihn!" befahl Kark. Llik rollte sich am Boden ab. "Niemals werde ich sterben! Niemals werde ich Dich anerkennen!" Alle verharrten regungslos. Llik erkannte die Gunst der Stunde. Durch die baldige Aussicht auf eine neue Schlacht blutrünstig geworden, befanden sich die meisten Offiziere der Zitronen in einem disziplinlosen Zustand. Bereit, neue Fakten zu schaffen. Bereit, einem neuen Führer zu folgen, um die Anhänger des alten zu massakrieren. Eine tödliche Stille breitete sich aus. Beide Kontrahenten fixierten sich feindselig. Die Beobachter der Szene waren sich jedoch offensichtlich noch nicht einig, wem von beiden sie ihre Unterstützung geben sollten. Und so achtete jeder darauf keinen Fehler zu machen. Srubut war der erste, der die Anspannung durchbrach. "Llik hat Recht! Wir brauchen einen neuen Anführer." Er hob langsam den Arm, eine Strahlenwaffe in seiner Hand. Diese Bewegung vollzog sich ganz langsam und bewusst. Es war ersichtlich, dass Srubut die Szene genoß. Ein Grinsen erfaßte sein Gesicht.
Jetzt erst realisierte Kark, wie ernst die Situation war. Verzweifelt hielten seine Augen nach etwas Ausschau, hinter dem er sich vor dem tödlichen Strahl in Sicherheit bringen konnte. Doch die kärgliche Einrichtung des Raumes barg keinen Schutz. Stattdessen kam ihm von ganz anderer Seite unerwartet Hilfe. Nit hatte unbemerkt einen Mesa-Dolch geworfen, der Srubut tödlich traf. Dies veränderte die Situation schlagartig. Karks Anhänger fanden wieder zur Aktivität zurück. Doch Llik war kein Dummkopf. Offensichtlich hatte er die ganze Aktion vorher schon fein säuberlich durchdacht. Auch mit einem Scheitern hatte er schon gerechnet. Und so öffnete sich plötzlich eine der Türen. Mehrere schwer bewaffnete Zitronen stürmten herein und deckten den Rückzug von Llik und seinen Gefolgsleuten. Noch bevor es zu Grobheiten kommen konnte, war Lliks Schar aus dem Raum geflohen. "Verfolgt sie!" befahl Kark den inzwischen ihm wieder treu ergebenen Wachen. Diese stürmten daraufhin zusammen mit den noch anwesenden Offizieren geifernd nach draußen.
Zurück blieben nur Kark und Nit. Eine seltsame Stimmung ergriff den Subraumkommandanten. "Warum hast Du das getan?" "Was meinen sie damit?" entgegnete Nit. "Du hast mein Leben und meine Autorität gerettet, obwohl die Chancen für einen Moment lang besser für Llik standen." Noch nie hatte Kark so offen zu ihm gesprochen. Nur zu gern hätte ihm Nit genauso offen geantwortet. Doch man musste stets auf der Hut sein. Einem Zitronen war in keiner Situation zu trauen. Selbst wenn man ihm kurz zuvor das Leben gerettet hatte. "Es war meine Pflicht." sagte Nit mit bestmöglicher Überzeugung. "Pflicht" sinnierte Kark. "Das ist seltsam. Kein Zitrone hätte so gehandelt wie Du." "Seht es einmal so," erklärte Nit, "nur wenn ihr Kommandant bleibt und in den nächsten 3 Monaten keine geschichtsträchtige Tat vollbringt, werde ich Kommandant." Und mit diesen Worten ließ Nit Kark allein, der sich offensichtlich mit dieser Antwort fürs erste zufrieden gab.
Alle Zwischendecks der Bloodlands waren hell erleuchtet. Denn noch immer war der Konflikt nicht beendet. Während ihm seine Anhänger blindlings hinterherliefen, überlegte Llik fieberhaft, wohin er sie überhaupt führen sollte. Es war ihnen zwar zwischenzeitlich gelungen die Verfolger abzuschütteln, aber wenn sie nicht durchgehend in Bewegung blieben, würde es nicht lange dauern bis sie aufgespürt und getötet werden. Also nahmen sie jede offene Schotttür war, ihrer Flucht eine neue Richtung zu geben. Natürlich konnten die offenen Türen auch eine Falle bedeuten. Aber welche Wahl hatten sie schon? So rannten sie planlos weiter und kamen dem hinteren Rundteil des Schiffes immer näher, als sie plötzlich eine Sackgasse zum Anhalten zwang. "Also doch eine Falle!" stellte Llik resigniert fest. "Was ist mit dieser Tür?" fragte einer seiner Begleiter. "Keine Chance! Sie führt zu irgendeinem Sicherheitsbereich...hochgesichert, so dass nicht einmal ich dazu Zugang habe!" "Aber probieren kann man's doch wohl mal." "Versuchs." seufzte Llik. Seltsamerweise ließ sich die Tür problemlos öffnen. Ein langer Gang tat sich dahinter auf, der die Flüchtigen aufnahm.
"Wir können die Abtrünnigen nicht mehr finden!" berichtete Kaatong und wagte kaum in Karks feindliche Augen zu blicken. "Was bedeutet das?" "Wir haben ihre Spuren bis zum Sicherheitsbereich P.fui7 im hinteren Rundteil nachvollziehen können. Aber ab dort verlieren sie sich ..." "P.fui7? Seid ihr alle schwachsinnig? Bei allen Pressen! Lasst sofort die Nutrawaffen am Deckteil des Schiffes entschärfen! Sie werden versuchen mit der .... zu entkommen!" schrie Kark. Er schrie es laut aber zu spät. Die .... war bereits gestartet und entfernte sich mit schier unglaublicher Geschwindigkeit von der Bloodlands. .... war eine Neuentwicklung der Zitronen. Ein Raumschiff mit noch nie erreichter Geschwindigkeit, das andererseits jedoch kaum über eine nennenswerte Waffenkapazität verfügte. Bislang gab es erst einige wenige Prototypen, von denen sich einer auf der Bloodlands befand. Da die Entwicklung strengster Geheimhaltung unterlag, gab es auch keinen offiziellen Namen, weshalb man von .... sprach.
"Wir müssen wenigstens versuchen, ihnen zu folgen!" bestimmte Kark. "Und ich glaube, ich weiß auch, wohin Llik steuern wird. Der Tötungsinstinkt wird ihn leiten." "Sie meinen, er wird....?" "Genau das wird er versuchen!" antwortete Kark.
Währenddessen kauerte Nit verborgen in einem Versorgungsschacht der .... . Bislang hielt sich alles an seine Berechnungen. Aber er durfte sich nicht zu erkennen geben. Zwar hatte er Llik und seinen Leuten indirekt zur Flucht verholfen, jedoch hatte er auch Srubut getötet und damit Lliks Niederlage verursacht. Er musste also abwarten und hoffen, dass sein Plan gelang.
11. KAPITEL
Alles war Schweben und Schwärze. Das Schweben war angenehm, die Schwärze war eher unheimlich. Er befand sich jenseits von allen Empfindungen, sein Kopf war frei und er fühlte sich gut wie noch nie.
Er drehte Runde um Runde in dem einlullenden samtigen Schwarz, als plötzlich dieses helle gleißende Licht auftauchte. Das Licht war gräßlich. Es blendete und erzeugte in Sekunden stechende Kopfschmerzen. Und es wurde immer noch größer und heller, bis es fast seinen gesamten Sichtbereich ausfüllte. Er wollte schreien vor Schmerz, aber kein Geräusch verließ seinen weit aufgerissenen Mund. Das langsame Schweben war zur höllischen Tortur geworden, aus der es kein Entrinnen gab. Das Licht kam rasend schnell näher und holte ihn ein.
Seine aussichtslose Lage erkennend, entschied er sich, nicht davonzuschweben, sondern sich der furchterregenden Bedrohung des Lichtes zu stellen. Er riss die Augen auf.
"Sir!" Martow schrie plötzlich auf. Holt zuckte zusammen und fuhr aus dem Stuhl. Er war doch tatsächlich eingeschlafen. Wie peinlich. Er stürzte hinüber zu Martow, der neben dem Krankenbett stand, in dem Orson lag und gerade die Augen geöffnet hatte.
"Er ist aufgewacht! Kein Koma-Stadium, gottlob!"
Holt rieb sich den Schlaf aus den Augen. "Danke, Martow. Ich löse Sie jetzt ab. Wegtreten."
Das Lächeln verschwand augenblicklich aus Martows Gesicht. Er wirkte enttäuscht, als er zwischen Holt und dem sich langsam bewegenden Orson hin- und herblickte. Schließlich zuckte er die Achseln, schritt durch den Zugang des Krankenquartiers und verschwand. Holt blickte ihm hinterher und wandte sich schließlich wieder Orson zu, der mit offenen Augen auf dem Bett lag und die Decke fixierte.
Jetzt, da sie beide allein waren, konnte Holt einen vertraulicheren Tonfall einschlagen. Sie kannten sich schließlich schon lange genug.
"John. Endlich reagierst Du wieder. Wir dachten schon, wir hätten Dich verloren. Du warst zwei volle Tage in einer Art Stasis-Zustand, nicht ansprechbar. Wie fühlst Du Dich?"
Sehr langsam drehte Orson seinen Kopf in Holts Richtung. Es dauerte eine Weile, bis seine Augen in die von Holt blickten. "Stephen..." Orsons Stimme brach. Holt winkte ab. "Streng Dich nicht zu sehr an, Du bist noch sehr schwach. Was ist nur passiert mit Dir, da draußen im Korridor? Kannst Du Dich erinnern? Wir fanden Dich kreidebleich auf dem Boden liegend, seltsam verzerrt, in einer Blutlache, und befürchteten schon das schlimmste. Aber Du warst physisch unverletzt. Es war gar nicht Dein Blut."
Orsons Augen blickten glasig. "Nein." Seine Stimme klang sehr schwach und entfernt. "Ich habe nichts ungewöhnliches bemerkt. Ich kann mich nicht genau ... erinnern ..."
Holt war zuversichtlich. "Wir werden das schon klären, verlass Dich drauf." Orson nickte langsam. "Ich bekomme Hunger. Lass uns etwas Essen gehen."
Holt war überrascht. "Ich weiß nicht ... Aber das kann eigentlich nur ein Zeichen der Besserung sein, wenn Du wieder Hunger hast." Holt lächelte und half Orson aufzustehen. Er bewegte sich schwerfällig und unsicher, kam aber schließlich zum Stehen. "Wohin ...?"
"Na, dort hinaus. Du wusstest Doch immer genau, in welcher Richtung
die Kantine war."
"Sicher."
Holt schritt voraus zur Tür, Orson stakste ungelenk hinterher. Als
Holt jedoch den Öffnungsknopf für das Schott betätigen wollte,
schlossen sich Orsons Hände wie Schraubstöcke von hinten um seinen
Kopf.
"John! Was tust Du da..." Holt versuchte, die klammernden Hände abzustreifen, aber es war schon zu spät. Mit einer plötzlichen ruckartigen Bewegung drehte Orson Stephen Holts Kopf um hundertachtzig Grad. Es knackte laut, als Holts Genick brach. Orson ließ los und augenblicklich sank der Leichnam zu Boden.
Mit einem Mal bewegte sich Orson gar nicht mehr ungelenk. Er stieg über die Leiche und verriegelte systematisch die Zugänge. Schließlich sah er sich um. Und wurde fündig. Im linken hinteren Eck des Raumes befand sich die Klappe des Müllschluckers. Er wusste, dass am Ende des Müllschachtes, irgendwo in der Tiefe der Blechkugel, kräftige Mahlwerke tagein tagaus damit beschäftigt waren, anfallenden Müll zu zerkleinern.
Er musste Holt loswerden und würde es als tragischen Unfall hinstellen. In den letzten Tagen, nein, in den letzten vierundzwanzig Stunden waren so viele unglaubliche Dinge passiert, dass ein weiteres Unglück kaum mehr auffallen würde.
Mit unvorstellbarer Kraft packte er den Körper Holts, trug in zur Klappe, öffnete sie und warf ihn hinein als ob er ein Spielzeug gewesen wäre. Schließlich verriegelte er die Klappe wieder und setzte sich in einen Stuhl, wo er den verschlossenen Ausgang direkt im Blick hatte. Leise sprach er mit sich selbst. "Ich erwarte weitere Befehle."
Nit hatte es geschafft. Stolz blickte er auf seinen Horizontal-Fernplasmonexer. Dafür, dass er eigentlich nur Geschichtsschreiber war, war er technisch gar nicht mal so ungeschickt. Die Zeit war knapp und er hatte gut gearbeitet. Er hatte bis jetzt nicht gewusst, ob es klappen würde, aber es war letztendlich doch sehr einfach gewesen, die Dinge zu seinen Gunsten zu regeln.
Ein Geräusch ließ ihn sich in seinem Versteck im Versorgungsschacht umsehen. Er fand jedoch nichts. Das war bestimmt eine dieser elektrischen Kabelratten gewesen, die vollautomatisch die Versorgungszu- und -ableitungen der .... kontrollierten und bei Bedarf "dekontaminierten". Er wandte sich wieder seinem Gerät zu. Sehr gut. ORSON hatte es hinter sich gebracht und regenerierte sich. Es war schon ein Meisterstück gewesen, den vom Schwarzen Agenten infizierten DRABOSH ferngesteuert wiederzubeleben und mit dem ahnungslosen ORSON zu homogenisieren. Jetzt hatte er die perfekte Marionette für seinen Plan, was die Zitronen betraf. Und ein HOLT durfte da nicht im Wege stehen. Nun ja, Revolutionen fordern immer Opfer, aber sie sterben für den guten Zweck. Und es gab immer noch die Wiedererweckungs-Option. Nit war ein Menschenfreund, ein Revolutionär und ein unübertroffener Stratege. Und vor allem war er stolz auf sich. Seine Dienste und Fähigkeiten waren nie entsprechend gewürdigt worden. Dieser Triumph musste voll ausgekostet werden
Auch Llik und seine Kumpanen waren ahnungslos. Sie würden ihm dazu dienen, gegen diesen arroganten Kark vorzugehen. Aber alles immer der Reihe nach. Er bereitete sich vor, ORSON das nächste Kommando via Fernplasmonexer zu injizieren, als er wieder das Geräusch hörte. Nit duckte sich in eine Nische.
Orsons Geist schrie so laut er konnte in das hell und dunkel pulsierende Licht hinein. Aber kein Muskel seines Körpers bewegte sich. Er hatte seinen langjährigen Freund und Gefährten Holt eiskalt getötet. Er konnte es nicht verhindern. Er musste einfach zusehen, wie seine Hände nicht seinem Willen gehorchten.
In seinem Kopf dröhnte Stanley Draboshs Stimme: "Ich bitte, vom Dienst suspendiert zu werden, Sir. Ich habe nicht aufgepasst, und mich umbringen lassen." Drabosh war nur eines der Opfer gewesen.
Und er würde das nächste sein.
12. KAPITEL
Das Hämmern wurde eindringlicher. Llik versuchte es zu verdrängen. Das Hämmern blieb. "Wir brauchen eine Entscheidung." Das Hämmern wurde lauter. "Welchen Kurs?" Llik konzentrierte sich auf das Hämmern. Es war ein wenig gleichförmig und wurde in zufälligen Abständen durch ein Brummen unterbrochen. Llik war verwirrt. Er fühlte sich müde. "Hören sie das?" "Was?" "Dieses Geräusch!" "Ich höre nichts, aber ich warte immer noch auf eine Entscheidung zu unserem Kurs", antwortete Surchkrk. "Sie hören nichts? Wirklich nichts, Surchkrk?" Surchkrk zuckte zusammen. Er konnte wirklich nichts hören. Aber wenn ein vorgesetzter Zitrone so eindringlich nachfragte, war es wohl besser doch etwas zu hören, um nicht dessen Zorn zu erregen. Surchk konzentrierte sich. Er hörte nichts. Er blickte Llik fragend an. Llik sah seltsam aus. Er hatte abwesende, glasige Augen mit einem für Zitronen befremdlichen Ausdruck. Man hätte fast sagen können, er hatte einen gütigen Ausdruck im Gesicht. "Ja jetzt höre ich es auch", log Surchkrk um die Diskussion abzukürzen," aber welchen Kurs sollen wir jetzt einschlagen?". "Haben wir die Bloodlands mittlerweile abgeschüttelt?" "Ja." "Und dieses riesige Schiff der Fremdlinge." "Ist nicht weit entfernt. Es bewegt sich sozusagen im Kreis, als würde es abwarten." "Na dann wollen wir die Fremdlinge doch nicht lange warten lassen..." "Aber wir sind nicht besonders stark bewaffnet!" "Dafür sind wir brutaler und trickreicher, Surchkrk."
Nit horchte auf. Wieder ein Geräusch. Wieder eine Kabelratte? Er spähte angestrengt in die Dunkelheit des Ganges, konnte aber nichts sehen. Der Horizontal-Fernplasmonexer war mittlerweile wieder online und wartete auf Eingaben. Nit hatte ihn mit den Daten vom grauen Agenten gefüttert und wartete auf die Bestätigung. Der graue Agent war ein Prototyp für den schwarzen Agenten und verweilte derzeit auf dem Abladeplatz für biomechanoiden Müll auf der Bloodlands. Er war nach einer umfangreichen Testphase terminiert und dort abgelagert worden. Nit trommelte ungeduldig mit seinen 8 Fingern auf dem Eingabepad.
Der Schirm des Plasmonexers summte kurz und zeigte endlich die erwartete Bestätigung. Gleichzeitig baute er ein neues Holofenster auf, durch das die momentane Umgebung des grauen Agenten sichtbar wurde. Die Darstellung war aufgrund der Abschirmung des Raumschiffes nicht ganz perfekt, aber erlaubte es Nit immerhin die wesentlichen Details zu erkennen. Der Abladeplatz war momentan nicht bewacht und lag im Halbdunkel. Die Szene bot ein trauriges Bild. Überall lagen achtlos gestapelte Gliedmaßen, Kopfpartien, Sinnesorgane übereinander. Zeugen zahlloser Versuche, biomechanoide Lebewesen unterschiedlichster Formen herzustellen. Nur die wenigsten unter ihnen waren in einem einigermaßen vollständigen Zustand. Von den meisten existierten nur Einzelteile. Durch das feuchte und faulige Klima der Ablagestätte begannen die biologischen Teile - die künstlich hergestellten Zellgewebe - wild zu wuchern und verbanden sich miteinander zu einem riesigen, bizarr anmutenden Gewebe. Der graue Agent lag zum Glück ziemlich nahe am Ausgang. Dort war die Luft etwas trockener und die Ablagestätte noch weitgehend ungenutzt. Dadurch befand er sich in einem relativ intakten Zustand. Die Fäulnis hatte noch nicht eingesetzt und die Gewebewucherungen hielten sich noch in Grenzen. Lediglich ein Arm fehlte. Dieser war offensichtlich bei einem der Experimente abgerissen worden. Ein weiteres Summen des Schirms zeigte das erfolgreiche Ende der Reanimierungssequenz an und der graue Agent begann sich schwerfällig vom Boden zu erheben.
Nit schrak zusammen, als er abermals ein schlürfendes Geräusch vernahm. Unwillkürlich klappte er den Plasmonexer zusammen, um nicht durch dessen Leuchten verraten zu werden. Um ihn war es nun völlig dunkel. Er steckte den Plasmonexer wieder zurück an seine Hüfte, wo er von einer passenden Aussparung aufgenommen wurde. Dadurch erschien er nur noch als ein Teil seines Körpers und war von außen nicht mehr als Gerät zu erkennen. Nit sprang auf und bewegte sich vorsichtig in Richtung des Geräuschs. Trotz aller Vorsicht erzeugte das Metall des Versorgungsschachts bei jedem seiner Schritte ein gut hörbares Klingen. Nit hielt inne. Die Dunkelheit war undurchdringlich und ließ nichts erkennen. Also beschloss Nit weiterzugehen um schon im nächsten Moment seinen Entschluss zu bereuen. Hinter der nächsten Biegung des Schachts sah er in die feindseligen Augen eines Gnomms.
Der Gnomm hatte ihn bereits gewittert, er war entdeckt. Jetzt hatte er nur mehr eine Chance: Flach auf den Boden legen und warten, dass er von den Wächtern des Gnomms gefunden werden würde. Gnomms waren reißende Bestien, nur halbwegs gezähmt und wurden von den Zitronen als Wachtiere verwendet. Wann immer ein Gnomm auf ein ihm unbekanntes Lebewesen trifft, das ihn an Körpergröße überragt, beginnt er es zu zerfleischen. Falls sich der Gnomm jedoch größer als sein Gegner wähnt, belässt er es dabei, die scheinbar ungefährliche Beute zu bewachen bis seine Wächter kommen. Nit warf sich sofort flach auf den Boden und achtete peinlich darauf, den Gnomm auf keinen Fall zu überragen. Dieser ließ sich täuschen, setzte sich neben Nit und begann ein nervenzerreißendes Gekreische. Das Signal für die Wächter. Nit war schockiert. Sein Plan hatte erhebliche Lücken. Niemals hätte er mit Gnomms auf der .... gerechnet. Irgendeiner der Verschwörer musste sie mitgebracht haben. Weiß der Teufel, wie und wann er dafür Zeit gefunden hatte. Schlimm daran war nur, dass dadurch der gesamte Plan in Gefahr geriet. Nit war noch nicht dazu gekommen den grauen Agenten genau zu instruieren. Und dies würde er auch nicht mehr schaffen, wenn ihn diese Barbaren nach seiner Gefangennahme töten würden.
"Führen Sie jetzt eine Extremität in den Diagnoseschacht." Der Medizincomputer in Lliks Kabine erwartete die Reaktion auf seine Anweisung. Llik gehorchte und versuchte endlich dieses lähmende Hämmern in seinem Kopf zu ignorieren. "Gut. Entfernen Sie ihre Extremität!" "Gut." "Interner Fehler #&27385. Anwendung abgebrochen. Drücken Sie drei Tasten für einen Neustart." "Verfluchtes Ding! Immer wenn man es braucht, stürzt es ab!" schrie Llik. Aber anstatt es mit einem Hieb zu zerstören startete Llik zu seiner eigenen Verwunderung den Computer erneut und steckte wiederum seine Hand in den Diagnoseschacht. Diesmal ging alles glatt. Der Computer war mit der Diagnose beschäftigt. Llik wartete ungeduldig.
"Die Untersuchungen sind abgeschlossen. Die Diagnose lautet: Sie sind im zweiten Stadium der Replikation." Llik wurde blass. Seine Gedanken begannen zu kreisen. Selbst das Hämmern in seinem Kopf trat kurzzeitig in den Hintergrund. "Zweites Stadium der Replikation?" wiederholte er ungläubig. "Anweisung unbekannt, verwenden Sie eine andere Wortwahl" entgegnete ihm der Computer. "Wie sicher ist die Diagnose?" fragte Llik. "Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose liegt unter 2E-10 Prozent. Das heißt, die Diagnose kann als hundertprozentig richtig angesehen werden." belehrte ihn der Computer. "Verdammte Scheiße" stieß Llik aus. Jetzt wurde ihm alles klar: Die Kopfschmerzen, sein phlegmatisches Verhalten und die seltsamen Gedanken, die er in letzter Zeit hatte. Replikation also. Es war seine erste. Bis jetzt hatte er nur davon gehört. Replikation dient der Fortpflanzung der Zitronen. Jeder Zitrone kann davon getroffen werden. Das schlimme ist, dass der Zeitpunkt dafür völlig willkürlich ist. Manche Zitronen werden nie davon betroffen, andere dagegen fast ständig. Die Replikation selbst findet in insgesamt fünf Phasen statt, wovon die ersten vier reine Bewusstseinsänderungen sind und die letzte Phase schließlich zur physischen Abspaltung führt. Das Ergebnis war dann eine mehr oder weniger gute Replik des Wirtskörpers, die jedoch stark dem Einfluss spontaner Mutation unterlag. Llik wurde schlecht. Wenn sein Zustand bekannt würde, wäre das das Ende seiner Autorität. Er beschloss, das Schiff der Fremdlinge so schnell wie möglich anzugreifen, um jegliche Zweifel an seiner Führungspersönlichkeit im Keim zu ersticken. "B-Leutnant Surchkrk, ich brauche sofort vier Freiwillige für ein Himmelfahrtskommando, um die Bewaffnung des feindlichen Raumschiffes zu testen." "In Ordnung", antwortete Surchkrk durch den Kommunikator.
Minuten später spalteten sich zwei schwer bewaffnete Raumgleiter als Vorhut der .... ab und beschleunigten in Richtung des Raumschiffs der Menschen.
"Herzlich willkommen wieder zurück auf dem Leitstand, Sir!" rief Martow voller Freude, als Orson eintrat. "Ich muss ihnen jedoch leider mitteilen, dass Holt immer noch nicht zum Dienst erschienen ist." Ein Teil des alten Orson zuckte zusammen. Er wollte weinen. Die Wahrheit aus sich herausschreien. Irgendetwas tun, um dieser Umklammerung, die ihn umfasste, zu entkommen. Tatsächlich jedoch hörte er sich ganz nüchtern sprechen: "Ist er krank?" "Wir wissen es nicht, Sir. Wir haben versucht ihn in seiner Koje zu erreichen, jedoch umsonst. Seit seinem Besuch, gestern bei ihnen, hat ihn niemand mehr gesehen." Wieder verkrampfte sich etwas in Orson. Er blickte Martow nachdenklich an. "Zur Zeit geschehen hier die seltsamsten Dinge, Martow. Ich fürchte wir werden eine Untersuchungskommission beauftragen müssen, die ..." Orson wurde durch das Kreischen des Alarmsystems unterbrochen. "Sir, zwei unidentifizierte Raumschiffe nähern sich uns. Einschätzung des Computers: Wahrscheinlichkeit für Feindseligkeit 70 Prozent. Erreichen der Schussdistanz: Acht Minuten." "Machen sie sofort alle Abwehrbatterien unserer Sektion scharf!" rief Orson. "Sind Sie sicher, Sir?" "Natürlich! Führen Sie meinen Befehl aus."
Ein Ruck durchfuhr die Außenhülle der Blechkugel. Ein großer Teil der äußeren Hülle begann sich plötzlich zu bewegen, versank im Bauch des Schiffs und gab zahlreiche Abwehrwaffen frei. Der ganze Stolz der menschlichen Kriegstechnologie blitzte im Licht der nächstgelegenen Sonne. Eine ganze Batterie hochmoderner elektromagnetischer Waffen begann sich auf das Ziel auszurichten. Die Zitronen in ihren Raumgleitern sahens gelassen und eröffneten das Feuer. Die ersten Salven der Zitronen wurden durch den Interferenzschirm der Menschen assimiliert, die folgenden drangen jedoch aufgrund ihrer veränderten Frequenz hindurch und trafen das Schiff der Menschen längsseits. Hierauf erwiderte die Abwehrbatterie das Feuer. Gierigen Schlangen gleich durchzuckten mehrere Lichtblitze das Schwarz des Weltraums. Während sie eines ihrer Ziele nur knapp verfehlten, trafen sie das zweite um so tödlicher. Ein letztes Zucken, ein bläulicher Blitz und der Raumgleiter der Zitronen zerbarst in einer gleißenden Explosion. Der andere versuchte abzudrehen, entkam der zweiten Salve der Menschen jedoch nicht und fand dasselbe Ende.
Llik war beeindruckt. Bis zuletzt hatten die Sensoren der Raumgleiter jede nur denkbare Information des kurzen Gefechts zum Muttterschiff übertragen und eine eindrucksvolle Demonstration der menschlichen Technik gezeigt. Mit simpler Offensivtaktik war den Menschen offensichtlich nicht beizukommen. Andererseits waren sie unvorsichtig genug, schon bei dieser relativ kleinen Bedrohung ihre Hauptverteidigungswaffen zu offenbaren. Llik war verblüfft. Er hatte eher damit gerechnet, dass sie einige Abfangjäger als Empfangskomittee schicken würden. Entweder verfügten sie nicht über solche Schiffe, oder sie waren einfach zu feige, hatten aus irgendwelchen Gründen zu sehr Angst davor, sich auf kleinere Gefechte einzulassen. In diesem Fall wäre es natürlich interessant den Grund für die Nervosität der Fremdlinge zu erfahren.
Das Eintreten der Wachmannschaft riss Llik aus seinen Gedanken. "Commander, wir haben Nit aufgegriffen! Er hatte sich in einem Versorgungsschacht versteckt!" Der Wächter schubste Nit vor sich auf den Boden. "Was sollen wir mit ihm machen?" "Töten Sie ihn auf der Stelle! Er ist auf Karks Seite!" rief Llik erbost. Das Gesicht des Wächters zeigte sofort grimmige Freude. Er nahm seinen Mesadolch und holte aus. "Oder halt, warten sie", stoppte ihn Llik, "Ich möchte erst erfahren, was er hier wollte, bevor wir ihn töten." Die umstehenden Zitronen waren erstaunt. "Verhören Sie ihn und pressen Sie alle Informationen aus ihm heraus, die Sie kriegen können!" befahl Llik. Missmutig gehorchte der Wächter, drehte um und verließ zusammen mit Nit die Kommandobrücke. Zurück blieben zahlreiche verdutzte Zitronen, die Llik argwöhnisch betrachteten. Dieser spürte ihre Blicke und das unverhohlene Mißtrauen, wollte sich aber aufgrund des Hämmerns in seinem Kopf nicht weiter damit befassen.
13. KAPITEL
Die Tür zischte auf und sonderte ein übelriechendes Gas ab. Die grobschlächtigen Zitronen, die Nit gepackt hatten, schubsten ihn mit einem kräftigen Stoß in das feuchtigkeitstriefende Verlies. Nit landete schwer auf dem Boden, und er wäre noch schwerer gelandet, wenn sich nicht rechtzeitig seine pseudohydraulischen Ausbuchtungen dort ausgefahren hätten, wo bei einem humanoiden Wesen der Bauch vermutet wird. Trotzdem stöhnte er leise auf.
Surchkrks Zitronen, die ihn eben so rüde in sein Gefängnis gestoßen hatten, ließen die schwere Sicherheitstür wieder zufahren, und sonderten ein abscheuliches Lachen ab, als sie sich entfernten. Nit wusste, warum sie ihn auslachten und auch um das Schicksal, das ihn nun erwartete. Er würde von den Horkqs gefoltert werden. Diese Gestalten waren die wohl übelste Art von Zitronen, die es gab. Sie hatten doppelt so viele Gliedmaßen wie ein normaler Zitrone, und jedes dieser Gliedmaßen konnte als schmerzbringende Hieb-, Stich- oder gar Schusswaffe benutzt werden. Nicht viele Gefangene hatten die Behandlung eines Horkqs überstanden. Aus diesem Grund wusste man wohl auch nicht sehr viel über diese Wesen.
Aber Nit wusste, dass es sie gab.
Wie zur Bestätigung von Nits Überlegungen ertönte ein grauenerregendes hohes Pfeifen, das in ein blubberndes Gurgeln überging. Da war es jemandem schlecht ergangen. Eigenartigerweise fühlte sich Nit jedoch nicht sehr ängstlich. Das lag nicht daran, dass Zitronen grundsätzlich keine Angst vor dem Tod hatten. Zitronen kannten den Tod nicht als solchen. Aber sie fürchteten die Replikation, welche sie als das Schrecklichste erachteten, was einem Zitronen widerfahren konnte. Und diese war bei Llik gerade eben in die Endphase getreten. Er würde außer Kontrolle geraten. Was würden die anderen Zitronen über ihn denken?
Nein, Nit war nicht ängstlich, sondern eher zuversichtlich. Beinahe wäre sein Plan durchkreuzt worden, indem ihn Surchkrk eliminiert hätte. Das wäre tragisch gewesen. Aber dank Lliks Weichherzigkeit bedingt durch die Replikation saß er jetzt hier im Verlies. Das waren schon weitaus bessere Aussichten.
Sicher, seinen Plasmonexer hatten sie ihm abgenommen. Aber darauf hatte er sich sowieso nicht verlassen. Nit hatte noch einige eingebaute Tricks, die die anderen Zitronen nicht ahnten. Er würde seinen Plan ändern, aber weiterhin fortsetzen. Als ein schluckendes Geräusch um die Ecke ertönte, machte sich Nit bereit, dem Horkq zu begegnen. Sein biomechanischer Körper spannte sich an.
Die Bloodlands trieb immer noch bewegungslos im All. An Bord war niemand mehr, der dem großen Raumschiff befehligen konnte, weiter hinter der .... herzujagen.
Der graue Agent hatte ganze Arbeit geleistet. Man hatte ihn als Prototypen gebaut, dann aber verschrottet, als man entdeckte, dass er in seiner Brutalität konsequenzlos war. Sein Nachfolger, der schwarze Agent, war wesentlich feinfühliger, leiser und verletzlicher. Der graue Agent wusste um das Schicksal seines dunkleren Bruders. Jetzt war seine Stunde gekommen. Er würde nicht aufgeben, bevor sein Auftrag erfüllt war. Dazu war er gebaut: sich Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Und die Besatzung dieses elenden Raumschiffes namens Bloodlands war ihm im Weg. So hatte er begonnen, sämtliche Zitronen an Bord auszuradieren. Es war erstaunlich leicht gewesen. Keiner war ihm gewachsen. Sie fielen wie die Fliegen. Er war fertig mit ihnen.
Behäbig bahnte er sich seinen Weg durch die abgetrennten Gliedmaßen und die breiartige Flüssigkeit, die normalerweise im Innern eines Zitronenkriegers fließend nun Wände und Boden bedeckte. Den Führer dieses Raumschiffs, wie hieß er noch gleich? Kark? Genau. Er war nicht unter den Opfern gewesen. Er war auch sonst nirgends aufzufinden gewesen. Das war zwar bedauerlich, aber für das weitere Vorgehen des grauen Agenten nicht weiter wichtig.
Ein Tentakel des Agenten kickte den Kopf eines unglücklichen Zitronenkriegers beiseite, der vor einem großen Schott mit der zitronischen Aufschrift "Schleuse" befand. Der Agent öffnete die Schleuse und schwebte ins Weltall hinaus. Er liebte die Stille des Vakuums im Raum. Langsam öffnete sich eine Körperausbuchtung auf dem Rücken des Agenten und heraus fuhr ein länglicher, leicht durch Schimmel angegrauter Zylinder, der sofort Feuer spuckte. Die momentanen Koordinaten der ...., die er dem Bordcomputer der Bloodlands entnommen hatte, surrten durch seinen Kopf.
Schließlich machte der graue Agent einen Satz und nahm die Verfolgung der .... auf. Mit der Bloodlands wäre er viel zu schwerfällig gewesen. Klein und wendig wie er nun in seinem Raketenkörper war, würde er sie bald einholen und auch mit ihnen abrechnen.
Llik hatte sich in seine privaten Quartiere zurückgezogen. Er fühlte sich nicht besonders gut. "Fühlte"? Was war denn das nun wieder? Wieso fühlte er? Das Dröhnen und Hämmern in seinem Kopf war schlimmer geworden. So schlimm, dass er Surchkrk anwies, ihn zu vertreten. Das hatte er niemals zuvor getan.
Und Surchkrk hatte seine ohnehin feindseligen optischen Retina-Linsen noch enger gezogen. Llik wusste, er hatte nun mehr Feinde als Verbündete. Aber er dachte nicht daran, sich vor den anderen eine Blöße ...
Der plötzlich einsetzende Schmerz traf ihn mit voller Wucht.
Sein biomechanischer Körper krümmte sich zusammen und fiel
in der Mitte des Raumes auf den Boden.
Er konnte kaum mehr denken.
"Phase 5" zuckte ihm durch den Kopf, als er ein
brechendes Geräusch wahrnahm. Mit blankem Entsetzen blickte Llik
an sich herunter. Ein Teil seines Körperpanzers war einfach
abgesplittert. Dunkelbraune Flüssigkeit trat aus. Jetzt wurde
ihm wirklich schlecht. Aber er hatte keine Möglichkeit,
sich zu bewegen. Er verharrte einfach starr und verkrümmt auf dem
Boden und musste zusehen, wie sich etwas aus seinem Körper zu
befreien begann und ihn dabei einfach aufknackte wie eine Schale. Die
Replikation nahm ihren unvermeidbaren Lauf.
Lliks Schreie verhallten ungehört hinter den schalldichten Türen seines Privatgemachs.
Orson entspannte sich etwas. Die geistige Kontrolle war zwar noch präsent, hatte aber im Moment etwas nachgelassen. Er hatte die Raumschiffe abgewehrt und galt jetzt als Held.
Allerdings fühlte er sich überhaupt nicht wie einer. Bleich und schweißüberströmt saß er im Zentrum der OPS und erschauderte. Er hatte Holt getötet. Einfach so. Aber er konnte sich niemandem aus seiner Crew mitteilen. Er konnte es nicht die Sperre hinderte ihn, und er wollte auch nicht. Wer würde ihm denn Glauben schenken? Selbst Martow nicht. Nein.
Er musste herausfinden, was mit ihm geschah, oder geschehen war. Was hatte es mit Drabosh auf sich? Rätsel über Rätsel. Und keine Lösung in Sicht. Orson kam sich vor wie eine Figur in einem kosmischen Schachspiel. Aber nicht wie ein Läufer. Eher wie ein Bauer.
Sein Kopf schmerzte schrecklich. Und er fühlte ein ungewöhnliches Prickeln in seinen Gliedern. Noch vor fünf Minuten hatte er der Empfindung keine Aufmerksamkeit geschenkt. Aber es wurde immer stärker. Das Licht in der Kommandozentrale erschien eigenartig grell. Er hob seine Hand vor die Augen.
Und da sah er es.
Die Lichter der Computerkonsolen waren durch seine Hand hindurch zu sehen. Die Angst kroch in Orson hoch wie bittere Galle. Langsam bildete sich um die Konturen seiner Hand ein heller blauer Schein. Summen ertönte in seinen Ohren. Begann er zu halluzinieren? Verzweifelt blickte er sich im Raum um. Er hatte sich nicht getäuscht. Er desintegrierte langsam. Martow und die anderen starrten ihn mit offenen Mündern an, aber keiner von ihnen machte eine Bewegung.
Sie standen nur da und sahen zu.
Orson hatte keine Kontrolle über die Situation. Langsam begann sich der Raum zu verändern. Die Umrisse der Crew der Blechkugel wurden immer durchsichtiger und wichen schließlich totaler Schwärze. John Orson fand sich im Nichts wieder. Er schrie und schrie. Es war zuviel.
Der Transfer war geschehen. Nit hatte den ORSON auf die .... transferiert. Sein Plan schritt fort. Er war zufrieden. Es war die richtige Entscheidung gewesen, seine wichtigsten Geräte unter seinem biomechanischen Panzer zu verbergen und nicht in die Zitronen-typischen Körperausbuchtungen zu stecken. So hatten Surchkrks Schergen seinen Materietransmitter überhaupt nicht bemerkt. Diese Narren! Jetzt waren die Ereignisse kaum mehr aufzuhalten. Lliks Replikation hatte stattgefunden, das wusste Nit. Und der graue Agent war ebenfalls unterwegs zur .... Das Spiel konnte beginnen.
Jetzt musste irgendwann der Horkq auftauchen. Angespannt lugte Nit aus einer feuchten dunklen Nische. Das schluckende Geräusch wiederholte sich. Diesmal näher. Nit hatte recht behalten: da war er, der Horkq.
Es sah schon schrecklich aus, dieses Biest. So praktisch diese vielen Gliedmaßen sein mussten, so behinderten sie doch eine schnelle Fortbewegung des Horkqs. Nit war fasziniert von der grausigen Erscheinung. Der Horkq hatte ihn noch nicht bemerkt. Er war eben langsam. Das war Nits Vorteil.
Seine Chitinhülle öffnete sich lautlos und beförderte eine schwer definierbare Apparatur in eine seiner Gliedmaßen. Die Vorrichtung verschmolz sofort mit dem Rest seines Körpers. Als der Lauf des Apparates auf den Horkq zeigte, reagierte dieser aber plötzlich und schneller als seine dröge Figur Glauben machen konnte. Er schoss einen giftigen Pfeil auf Nit ab, welcher haarscharf am erstaunten Nit vorbeisauste und die Verliesmauer zu Dampf pulverisierte.
Nit war gezwungen, den Feind neu zu taxieren. Er fackelte nicht länger und drückte sofort ab.
Der Plasmastrahl traf den Horkq, der unfähig war sofort auszuweichen, genau im Kopf (oder was wohl der Kopf sein konnte). Der Horkq war nun mal eine Offensivwaffe, das wurde im zum Verhängnis.
Zunächst passierte jedoch nichts. Nit kam erstaunt aus seiner Deckung. Der Horkq war einfach nur erstarrt und stand regungslos in der Mitte des Raumes. Und dort blieb er auch. Nit streckte seinen Körper wieder und schickte sich an, das Gefängnis zu verlassen, als der Horkq in einem schmatzenden Knall explodierte und seine Gliedmaßen und Körperflüssigkeit quer durch den Raum spritze.
Nit fuhr herum und wich den umherfliegenden organischen Teilen aus. Er hatte seine Plasmawaffe schon öfters an verschiedenen Wesen eingesetzt. Aber so eine Reaktion hatte er noch nie beobachtet. Äußerst interessant. Nun gut.
Er riss sich vom Anblick der dampfenden Überreste des Horkqs los und machte sich auf den Weg. Er musste zum Treffpunkt, um das Zusammentreffen der drei Spezies zu beobachten. Er stand kurz vor dem Ziel. Der Sinn seines Lebens würde sich nun erfüllen.
Er betrat den Turbolift und wich den herbeieilenden Wachen aus. Er würde sehen, was nun passierte. Er war hochgespannt.
14. KAPITEL
Lange schwarze Schatten fielen auf das Metall-Iglu von Grins. Grins blickte zum Himmel. Wenn das wieder einer von diesen verdammten Scherzen der plasmonischen Bauindustrie sein sollte, wäre seine Geduld am Ende. Seit Jahren schon drohten sie ihm mit der Bebauung seines Besitzes. Eigentlich seit dem Tag, als er seine Ländereien an den Baukonzern SanSan verkauft hatte. Grins sah noch einmal auf. Es war keiner der erwarteten Wolkenkratzer zu sehen. Weit und breit nichts als Wüste, scharfzackige Felsen und sein Iglu. Plötzlich jedoch wurde der Schatten größer. Gleichzeitig vernahm Grins ein zischendes Geräusch. Instinktiv trat er zur Seite aus dem Schatten heraus. Er sollte recht behalten. Kurz darauf krachte ein unförmiges Raumschiff direkt neben ihm auf die Erde.
Kark war erleichtert. Er hatte es geschafft.
Dem grauen Agenten zu entkommen war noch ein Leichtes gewesen. Schließlich hatte Kark ihn programmiert. Er hatte vorsorglich ein Warngerät installiert, das ihn bei einer vorzeitigen Reanimierung des Agenten rechtzeitig warnen würde. Auch war es nicht allzu schwer, unbemerkt in eine der Rettungskapseln der Bloodlands zu gelangen, um dem grauen Agenten aus dem Wege zu gehen. Aber dann kamen die Probleme. Kaum hatte sich die Kapsel von der Bloodlands abgesprengt, geriet sie in einen magnetischen Sturm, der sie völlig aus der vorgesehenen Bahn brachte. Als Kark wieder die Kontrolle über die Kapsel erlangte, musste er feststellen, dass er sich am Rande einer im völlig unbekannten Galaxie befand und zudem nicht genügend Treibstoff hatte, um auch nur die Hälfte der Distanz zum nächsten Planeten zu überbrücken. Dann jedoch tauchte plötzlich dieser Planetoid wie aus dem Nichts auf, der kurz zuvor noch von den Scannern des Schiffes verschwiegen wurde. Die Kapsel kam in sein Anziehungsfeld und wurde sofort heruntergezogen. Kark versuchte noch mit dem verbleibenden Treibstoff den Sturz etwas abzubremsen, als die Kapsel auch schon detonierte. Wie durch ein Wunder überstand er es schadlos.
Kark stieg aus den Trümmern und blickte sich um. Er befand sich in einer schier endlosen kreisrunden Ebene, deren Ränder mächtige, scharfzackige Felsenberge säumten. Die Höhe dieser Felszacken musste gigantisch sein, wenn man ihre Entfernung bedachte. Zwei tief stehende, rote Monde weit jenseits des Horizonts tauchten die Szenerie in ein seltsames rötliches Licht. Die Schatten der Felsen wuchsen Kark entgegen und erinnerten an Klauen, die nach ihm griffen.
Erst jetzt nahm Kark das Metall-Iglu und die kleine krötenhafte Gestalt daneben war. Sofort veränderte er seine Haltung zu einer Drohgebärde.
"Wer bist Du? Wo bin ich hier?" schrie er. Die Gestalt jedoch verharrte in Schweigen. "He! Was soll das? Ich habe Dich etwas gefragt." Kark bewegte sich nun langsam drohend auf die Gestalt zu. Sie regte sich nicht. "Verstehst Du mich nicht?" Kark packte die Gestalt ungeduldig und zerrte sie ins Licht der untergehenden Monde um sie näher zu betrachten, bereit sie sofort bei jeglicher Bedrohung zu töten. Jetzt erst sah er das breite Grinsen. Grins grinste. Kark war perplex. "Was soll diese Fratze? Ich hätte Dich fast umgebracht und Du grinst." "Wo liegt das Problem, Fremder?" Endlich eine Antwort. "Niemand grinst einen Zitronen an! Niemand in diesem Universum! Außer er will sterben." "Ich will nicht sterben, soviel sollte ich Ihnen auf alle Fälle schon mal mitteilen." entgegnete Grins. "Aber kommen Sie erst mal in mein Iglu, es wird hier schnell kalt, dort kann ich Ihnen dann alles weitere erklären." "Was meinst Du mit alles weitere?" Kark war verunsichert. Doch wie in Trance folgte er der seltsamen Kreatur.
Nit rannte. Er rannte. Er hatte schon zu viel Zeit verloren. Er musste es trotzdem schaffen. Er vergaß alle Vorsichtsmaßnehmen und rannte mitten durch die Gänge des Raumschiffes. Er musste es noch rechtzeitig zu Lliks Quartier schaffen. Er wurde immer schneller. Seitengänge flogen links und rechts an ihm vorbei. Ab und zu nahm er einen Zitronen wahr - schemenhaft. Er rannte so schnell, dass die Zitronen, denen er begnetete schlichtweg zu langsam reagierten, um ihn aufzuhalten. Trotzdem begannen nun einige von ihnen, ihm nachzusetzen. Nit versuchte sie abzuschütteln. Schon war er in der großen Kupplungshalle, von der aus kreuzförmig alle Gänge zu den Manschaftskabinen wegführten. Einige Zitronen hatten mittlerweile aufgeholt. Ein erster Mesadolch verfehlte ihn nur knapp. Seine Verfolger schrien ihm hinterher. Dies alarmierte eine der Wachen, die in der Nähe von Lliks Quartier postiert waren. Die Wache rannte auf Nit zu. Er duckte sich. Die Klaue der Wache verfehlte ihn nur knapp. Nit sprang zur Seite, machte eine Drehung und streckte seinen Fuß. Er traf die Wache in Knöchelhöhe, der Zitrone taumelte und fiel zu Boden.
Nit rannte weiter. Die zweite Wache fuhr herum und traf mit ihrer Klaue Nits linken Arm. Blitzartig durchfuhr ihn ein scharfer, stechender Schmerz. Ein dumpfes Grauen durchfuhr ihn, als er auf seinen Arm hinabblickte und die losen Reste seiner linken Hand am Boden liegen sah. Er versuchte den Schock zu verdrängen und sich aufs Überleben zu konzentrieren. Körperflüssigkeit tropfte aus dem Stumpf seines Armes auf den Boden. Er versuchte nicht hinzusehen, ignorierte den Schmerz. Gerade noch rechtzeitig entging er dem zweiten Hieb der Wache. Er warf sich zur Seite auf den Boden. Die Wache versuchte ihn mit den Fußklauen zu fassen zu kriegen, aber er konnte sich schnell genug wegrollen. Wie durch ein Wunder gelang es ihm, seine geheime Waffe aus der Chitinhülle zu holen und in die rechte Hand zu nehmen.
Er drehte sich und feuerte. Der Plasmastrahl zuckte durch den Gang und hinterließ ein Einschussloch im Brustbereich des Zitronen. Nit stand auf und warf sich gegen die Tür von Lliks Quartier. Sie gab nach. Nit sprang hinein, als hinter ihm eine Explosion den Gang in gleißendes Licht tauchte. Er verriegelte die Tür.
Eine weitere Explosion erschütterte den Boden und hinterließ einen breiten Spalt in der Tür. Geschrei drang vom Gang herein. Kampfgeräusche wurden hörbar. Offensichtlich war der graue Agent mittlerweile angelangt und hatte seine tödliche Arbeit aufgenommen. Die Zeit drängte. Die Schmerzen in Nits linken Armstumpf ließen langsam nach, die biomechanoide Hülle hatte sich verschlossen. Nit sah sich um. Ein Bild des Grauens. Überall an den Wänden klebten schleimige Fetzen von Lliks biomechanoider Hülle. Llik selbst lag ohnmächtig am Boden. Ein weithin sichtbares Loch klaffte in seinem Brustbereich. Und trotzdem: Er lebte. Replikationen waren schmerzhaft für Zitronen - kein Zweifel - aber nicht tödlich. Nit sah sich abermals um. Es musste eine besonders gewaltige und schmerzhafte Form von Replikation gewesen sein. Und jetzt sah Nit auch das Ergebnis. Es sah erschreckend aus. Ein weißlicher, unförmiger Klumpen, aus dem seltsame drahtartige Gliedmaßen ragten. Nit trat näher. Er umkreiste die Neugeburt. Er wurde nervös. Sollte er doch schon zu spät sein? War am Ende alles umsonst gewesen. Er trat noch einmal herum. Erst jetzt sah er die Augen. Nit war erleichtert. Sie waren geschlossen. Die Prägung hatte noch nicht begonnen. Es war noch Zeit.
Nit wurde durch ein Stöhnen aus seinen Gedanken gerissen. Er fuhr herum und sah Orson ohnmächtig am Boden liegen. Es war einfach perfekt. Alles lief exakt nach Plan. Alle waren sie nur Marionetten, die Stofflichkeitswerdung seiner Gedanken, er kontrollierte alles, determinierte alles, er herrschte über sie, er konnte alles erreichen, er hatte alles erreicht, er stand auf dem Höhepunkt seiner Macht und würde diese uneingeschränkte Herrschaft niemals abgeben müssen. Niemand würde ihm gewachsen sein. Er hatte die Fäden in der Hand, nur er bestimmte die Richtung, den Weltenlauf, er war nicht länger mehr ein Navigator, ab heute war er DER NAVIGATOR.
Das Iglu war innen seltsam kahl und leer. Und doch schienen die Wände durch allerlei wunderliche Muster gezeichnet. Kark blickte sich um. Erst jetzt, wo sich seine Augen an das Dämmerlicht im Inneren des Iglus gewöhnten, erkannte er, dass die Muster in Wahrheit unzählige, skurile Gegenständen waren, die die Wände bevölkerten.
"Interessant, nicht wahr?" sagte Grins. "Wer bist Du und was für ein seltsamer Planetoid ist das hier? Die Scanner meines Schiffes haben nichts dergleichen angezeigt...." wunderte sich Kark. "Die Wahrheit liegt stets direkt vor Dir und doch siehst Du sie nicht." "Was meinst Du damit?" Kark war verunsichert. "Ich habe dich erwartet Kark." "Du kennst meinen Namen?" Kark schrak instinktiv zurück.
"Ich sah Dich, beobachtete Dich. Das heißt....eigentlich beobachtete ich nicht Dich, sondern Nit." "Nit? Warum um alles in der Welt sollte jemand einen Wurm wie Nit beobachten? Einen unbedeutenden, kleinen Geschichtsschreiber, nicht einmal einen faulen Gedanken wert." Grins setzte sich. "Nimm doch auch Du Platz."
"Sag schon, was hat das alles auf sich. Was ist so Besonderes an Nit?"
"Er ist ein NAVIGATOR!"
Kark stutzte. Er sah Grins durchdringend an: "Ein Navigator? Was meinst Du damit?" "Ich meine es so wie ich es sage: Ein Navigator, er steuert den Weltenlauf, er dirigiert die Richtung, ist verantwortlich dafür, wie sich die Welt entwickelt und wohin die Reise geht. Er ist natürlich nicht der einzige. Es gibt viele von uns." "Uns? Heißt das...?"
"Richtig. Auch ich bin, das heißt um ehrlich zu sein, ich war mal ein Navigator. Aber ich bin schon zu alt, habe mich irgendwann zurückgezogen, war des Strebens müde, der ständigen Wiederholungen müde, ja richtig, gerade die Wiederholungen, ich sage Dir mein Freund, das ist das schlimmste an all diesem Tun: Die Wiederholungen, Du entrinnst ihnen nicht, Du steuerst, Du zielst, Du hast Phantasie und überlegst Dir die fantastischsten Dinge, Pläne und gibst dem Geschehen eine völlig neue, noch nie dagewesene Richtung. Und was soll ich Dir sagen? Was glaubst Du, was passiert? Es wiederholt sich alles! Alles! Wirklich alles. Du gibst den Kreaturen neue Ideen und sie denken die alten Gedanken. Du überlegst Dir eine neue Geschichte und sie führen die alten Kriege. Du gibst ihnen eine neue Identität und sie kopieren die alte. Und sie sind sich da alle gleich, glaub mir mein Freund, auch ihr, die ihr nur halb Lebewesen, halb Maschine seid, seid da um keinen Deut besser. Es ist zum Kotzen!"
Kark sah Grins an. Sie schwiegen. Lange Zeit.
Nit zerrte Orson näher an Lliks Replikat. Vorsichtig nahm er einen der drahtartigen Arme und steckte es in den halbgeöffneten Mund des noch immer bewusstlosen Orson. Dieser zuckte kurz, als sich das Replikat langsam begann festzukrallen. Einen weiteren Arm befestigte er in der Mundhöhle von Llik. Schließlich verband er noch einen dritten mit der Schnittstelle an seiner Hüfte, wo einstmals der Plasmonexer enigebettet war. Langsam ließ er sich zu Boden gleiten und schloß die Augen. Er begann ruhig zu atmen, konzentrierte sich. Die Prägung begann. Schwärze umschloß ihn, Schwärze drang in ihn ein, sie füllte ihn aus, umfasste seine Gedanken, legte sich wie Samt auf seinen Geist und hüllte ihn ein. Er gab sich hin, verlor das Fassbare.
Kark verstand immer noch nicht. Er blickte schweigend auf Grins. Dieser begann wieder. "Ich fühlte mich so müde, versteht Du? Ich wollte nicht mehr, ich hatte keinen Glauben mehr und dann das schlimmste: Ich hatte keine Freude mehr an der Kontrolle, an der Macht. Also zog ich mich aus der Kaste der Navigatoren zurück."
Wieder eine Gesprächspause. Kark begriff langsam.
"Und Nit?" fragte er. "Der war von jeher anders. Ein Grenzfall. Wir wussten lange Zeit nicht, ob bei ihm der Wille zur Kontrolle nicht schon zu stark ist für einen guten Navigator. Du musst wissen, wir sind Navigatoren aber keine Determinatoren, wir geben Richtungen vor, Denkanstöße, aber wir legen nichts fest. Wir lassen der Welt durchaus ihre Freiheiten, sich den Weg, den wir ihr weisen, auf ihre Art zu suchen. Manchmal gelingt dies nicht, aber meist haben wir Erfolg. Bis auf die Wiederholungen, diese grauenhaften Widerholungen. Wie Magneten ziehen sie die Lebewesen in ihren Bann. Niemand kann entrinnen."
Grins wurde wieder verbittert. Er blickte mit leerem Blick vor sich auf den Tisch.
Kark wunderte sich. "Aber was nützt euch eure Macht, wenn euch niemand kennt und niemand von euch weiß?" rief er aus. "Wozu macht ihr dann das Ganze? Oder seid auch ihr nur kontrolliert, gezwungen zu euren Taten? Steckt hinter euch allen wiederum eine Macht, die euch Navigatoren beherrscht?" Grins blickte auf. Er sah Kark an. "Du verstehst nicht. Es geht nicht um die Macht. Aber trotzdem hast Du vielleicht recht. Es wird tatsächlich seit jeher erzählt, dass es so etwas wie eine höhere Instanz gibt. Nur wissen selbst wir nichts Konkretes darüber. Die einen sagen, es gab sie schon immer - diese übergeordnete Macht - und sie existiert auch heute noch, unfassbar, nicht greifbar, aber dafür umso mehr unbezwingbar und absolut. Andere weigern sich an so etwas wenig Konkretes zu glauben. Sie gehören zu denen, die weiterhin die alte Sage vom "NAVIGATOR" verbreiten."
"Navigator? Was heißt das?"
"Eine alte Geschichte, von der niemand so recht weiß, wie glaubwürdig sie ist. Sie besagt, dass es früher stets einen Erwählten unter den Navigatoren gab: Den NAVIGATOR, einen Auserwählten unserer Kaste mit besonderen Fähigkeiten und herausragendem Wissen. Einen Herrscher der Beherrschenden. Einen, der alles kontrolliert. Angeblich habe der letzte aus der langen Reihe dieser absolut mächtigen Navigatoren, aus Angst davor, seine Macht eines Tages verlieren zu können, ein in seinen Augen unerfüllbares Gesetz erlassen, das die Voraussetzungen für DEN NAVIGATOR determiniert. Tatsächlich habe niemand mehr diese Voraussetzungen erfüllen können, so dass schließlich mit ihm der letzte übergeordnete NAVIGATOR starb. Wenn Du mich fragst, klingt das Ganze nicht besonders weise und daher für einen Navigatoren einfach unwürdig. Ich habe der ganzen Geschichte auch bislang keinen Glauben geschenkt...zumindest bis vor kurzem, bis mir Nits Plan klar wurde."
"Was besagt dieses Gesetz?"
"Das Gesetz besagt, dass nur derjenige ein neuer übergeordneter NAVIGATOR werden könne, der es fertig brächte, Wissen und Fertigkeiten zweier unterschiedlicher Lebensformen vollständig zu vereinen, zweier Lebewesen, deren Wissen zuvor noch nie zusammengefügt worden ist. Verstehst Du? Nit ist auf der .... und mit ihm befinden sich dort in diesem Moment ein Mensch und Lliks Replikat." "Mensch?" fragte Kark. "Die Lebewesen auf dem fremden Raumschiff, dessen Zerstörung Du vorbereitet hattest; und unweigerlich auch geschafft hättest, wenn Nit nicht die Fäden in der Hand gehabt hätte. Verstehst Du jetzt?"
Grins blickte Kark in die Augen. Kark zuckte zurück. Er war stets ein Krieger gewesen, ein Stratege des Tötens, aber er war alt und erfahren genug um Funktionsweise und Zusammenspiel von Macht und Geist zu begreifen. Und er wusste alles über die Replikation. Er selbst hatte sie schon zweimal erlebt. "Mit Lliks Replikat sagst Du?" "Genau." assistierte Grins.
Kark begann zu begreifen. Die Prägung! Nit wollte die Prägung der Zitronen ausnutzen. Jedes frisch geborene Replikat benötigt in seinen ersten Stunden eine Prägung, bei der es das gesamte Wissen eines oder mehrerer Lebewesen in sich aufnehmen kann. Normalweise erhält das Replikat diese Prägung von seinem Erschaffer. Aber man konnte die Prägung auch mit jeglichem anderen Lebewesen oder einer beliebigen Maschine durchführen. Und man konnte die Prägung auch missbrauchen, um das Wissen eines Lebewesens in sich aufzunehmen. In diesem Fall wurde das Replikat zum reinen Medium. Statt geprägt zu werden, gab es jegliche empfangene Information einfach nur weiter.
"Die Prägung! Er will die Prägung ausnutzen." "Genau, Du begreifst schnell, Kark. Er nutzt die Prägung. Er verbindet das Wissen zweier Spezies - Menschen und Zitronen, Llik und Orson - zwei Welten, sich bislang völlig fremd. Nie zuvor miteinander verbunden. Nie zuvor miteinander verschmolzen. Und Nit wird all ihr Wissen in sich aufnehmen und vereinen. Das Replikat selbst ist nur das Medium. Ein weiteres Mittel zum Zweck."
Kark schwamm es vor Augen. Plötzlich wurde ihm alles klar: Das Mittel zum Zweck, sie alle waren es gewesen. Nit hatte ihn benutzt. Er hatte alle benutzt. Alles war von Anfang an sein Plan und von ihm gesteuert: Die Überwindung der Subraumgrenze, das Zusammentreffen zweier Spezies, die sich bislang völlig fremd waren, der Aufruhr von Llik, um zu verhindern, dass Kark die Menschen angreifen und eliminieren konnte, bevor Nits Plan zu Ende geführt war, die Niederschlagung des Aufruhrs und Lliks scheinbar rätselhaftes Entkommen auf der ...., nur um dort in Ruhe Lliks Replikation nutzen zu können, dann die Eliminierung der Besatzung der Bloodlands, um keine Verfolger zu haben. Nit hatte alles durchdacht. Er hatte sie alle benutzt. Er hatte über Leben und Tod entschieden, hatte alles seinem Plan untergeordnet. Er hatte zigfach Lebewesen geopfert für sein Ziel.
Kark begann langsam Bewunderung für Nit zu hegen. Er spürte in sich Respekt vor so viel Kalkül und Machtstreben aufkeimen. Trotzdem hasste er Nit. Er hatte ihm sein Raumschiff, seinen Stolz genommen und seine Mannschaft ausgerottet. Und er hatte - und das war das schlimmste - ihm seine Individualität und Eigenständigkeit genommen. Er hatte ihn seine Ohnmacht spüren lassen. Er hatte ihm deutlich gemacht, dass alles nicht seine Entscheidung war, sondern ein bloßes willfähriges Ausführen von Nits Plänen. Er hasste Nit. Er fühlte sich verunsichert. Zum ersten Mal fühlte er sich verletzlich. Er sah Grins an. Auch Grins war ein Navigator. War er - Kark - wieder nur das Mittel zum Zweck? War er etwa Nits todbringenden Plänen entronnen, nur um seinen Herrn zu wechseln und nun zum Werkzeug des nächsten zu werden?
"Woher weißt Du eigentlich all das über Nit?" fragte Kark, misstrauisch geworden. "Ich war sein Lehrmeister. Ich habe ihm beigebracht, was er als Navigator wissen muss. Ich habe ihm die technischen Fähigkeiten gelehrt. Und ich stehe immer noch mit ihm in Verbindung. Er weiß nichts davon. Aber ich kenne immer noch seine Gedanken, kann seine Schmerzen fühlen, seine Zweifel erkennen und auch seine Machtgier spüren, seinen Willen, sich alles unterzuordnen. Ich hätte schon damals, als ich noch sein Lehrmeister war, die Gefahr in ihm erkennen müssen. Vielleicht habe ich deswegen aufgegeben, ein Navigator zu sein, weil ich dieses mein Scheitern erkannt habe." "Aber warum hast Du ihn dann nicht jetzt aufgehalten?" schrie Kark. "Navigator, nicht Determinator. Erinnere dich an meine Worte, Kark. Wir geben die Richtung vor, aber sehen trotzdem nur zu, was sich daraus entwickelt."
Nit nahm ein Knistern war. Es kratzte in seinem Hirn. Es war ein hohes Rauschen. Ein graues Gefühl. Es breitete sich aus. Er glaubte seine Gedanken zu spüren, als wären es Berührungen. Er spürte sein Gehirn. Er fühlte es sich erweitern. Er sah zu, wie es wuchs und immer mehr wuchs. Bald schon konnte er seine Ausmaße nicht mehr fassen. Es begann einer gigantischen Fläche zu gleichen. Es breitete sich immer noch aus. Seine Ränder verschwanden am Horizont. Nit nahm alles ganz genau war. Er sah alles. Leben, Sterben, Menschen, ihre Gefühle, ihre Gedanken, ihre Zukunft, er sah auch die Welt der Zitronen, er war ihr noch nie so nahe wie jetzt gewesen. Er konnte sie plötzlich verstehen. Er verband alles zu einem gigantischen Universum. Sein Universum! Nit stand auf und entfernte den Arm des Replikats. Er stand auf, um sein Universum zu sehen, neu zu entdecken und zu beherrschen.
Kark trat nach draußen. Die Monde waren noch einmal ein gutes Stück tiefer gesunken, die Schatten wuchsen. Kark blickte zum Himmel. Er sah die Millionen Sterne. Irgendwo dort draußen wurde ihre Zukunft entschieden. Er wollte es nicht glauben. Ihn fröstelte.
© by Maximilian Lückenhaus für den Text und die Zeichnungen von Kapitel 2, 4, 6, 8, 10, 12, 14
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